Der mit der Geige tanzt

Wie er springt, wie er sich biegt: Billy Bang ist einer der wildesten Jazzgeiger der Welt. Aufgewachsen in der Bronx, gehörte er in den Siebzigern zur Free-Jazz-Szene New Yorks. Auf seinem neuen Album, das er dieser Tage in Berlin vorstellt, hat er seine Zeit im Vietnamkrieg verarbeitet. Ein Porträt

Die Anerkennung bedeutet keine Absicherung. „Nur die Albträume lassen nach“

VON MAXI SICKERT

Um seinen Hals baumelt eine Blechplakette. Darauf eine Nummer: U. S. 51613087. Sgt. E 5. William Walker ist auf dem Foto 19 Jahre alt, als er in Bien Hola/Vietnam stationiert ist. Er posiert mit nacktem Oberkörper, das Maschinengewehr auf der Schulter, eine Zigarre im Mund. Coole Mimik, als sei alles nur ein Spiel. Zu sehen ist der Junge auf Billy Bangs CD „Vietnam. The Aftermath“ (2001). Und es ist Billy Bang selbst, den man da sieht. Ein Junge aus der South Bronx/New York, der noch nicht weiß, was in seinen zwei Kriegsjahren auf ihn zukommen wird. „Aftermath“. Das heißt so viel wie „Nachwirkungen“. Gemeint sind die Schuldgefühle, die immer wiederkehrenden Albträume, die er, wie er in den Liner Notes schreibt, bis heute mit Alkohol und Drogen betäubt.

„Man droht verrückt zu werden, nur noch Hass ist übrig. Hass auf den Krieg, auf die Regierung, auf Amerika selbst und Selbsthass“, berichtet Billy Bang heute im Interview. Darüber sprechen konnte er nicht, niemand wollte es hören. Vietnamveteranen waren unbeliebt, erst jetzt, nach dem 11. September, breche das Schweigen langsam.

Es waren seine Freunde, die Billy Bang seinen Namen gaben, nach einer Cartoon-Figur, einem Cowboy, der um sich schoss. Ausgerechnet. Damals war er durch ein Schulprojekt zur Geige gekommen, die Kids sollten mit Musik von der Straße geholt werden. Beobachtet man den Jazzviolinisten auf der Bühne, dann kann man sein Spiel nur als wild und körperlich bezeichnen. Wie er springt, sich biegt, ganz in der Musik aufgeht: ein Eindruck, den man nicht so schnell vergisst.

Billy Bang orientierte sich an der Spielhaltung Ornette Colemans und des Free-Thing-Geigers Leroy Jenkins, der sein Lehrer wurde. Dabei fühlte er sich der linksgerichteten Free-Jazz-Loftszene der Siebzigerjahre zugehörig – einer Musik, die frei war von jeglichen musiktheoretischen Zwängen, kollektiv improvisiert, voller Energie, aggressiv, kreischend und laut, Befreiung und Protest. Es ging um gemeinsame spirituelle Erfahrung und um die Auseinandersetzung mit Kunst und Gesellschaft.

„Man droht verrückt zu werden, es bleibt nur noch Hass. Hass auf den Krieg und Selbsthass“

Mitte der Achtzigerjahre trat Billy Bang mit dem deutschen Maler A. R. Penck auf, es kam zu einem gemeinsamen Projekt und Aufnahmen: „Penck spielte Klavier und Schlagzeug und malte.“ A. R. Penck war fasziniert von der Energie Billy Bangs und der New Yorker Szene und stellte ihnen 25.000 Dollar für ein eigenes Festival zur Verfügung. So entstand ein Jahr später das „Sound Unity Festival“, das heute unter dem Namen „Vision Festival“ das maßgebliche Jazz-Underground-Festival der Stadt ist.

In den Liner Notes zu „Spirits Gathering“ von 1996 beschrieb Billy Bang seinen desolaten Zustand in dieser Zeit: „Die Musiker trafen sich in meiner Wohnung in dem Moment, als die City Marshals kamen, um die Wohnung zwangszuräumen. Sie nahmen alles mit, auch die Instrumente. Wir konnten sie überreden, wenigstens die freizugeben, dann fuhren wir zur Aufnahme.“ Zu dem Zeitpunkt erhielt er das Angebot, nach Berlin zu kommen, wo er ein wöchentlich stattfindendes Big-Band-Projekt leitete, bei dem er die Art des „amerikanischen Dirigierens“ von Sun Ra und Butch Morris anwendete. Doch der Bonus des Neuen war schnell verbraucht. Als er vier Jahre später nach New York zurückkehrte, war er „am tiefsten Punkt angelangt“, erinnert er sich. Zuletzt ging sogar sein Markenzeichen, die weiße Geige, kaputt. Freunde sammelten für eine neue Geige, der Bassist William Parker bot ihm an, auf seinem Album „Scrapbook“ zu spielen, das zu den schönsten Jazz-Veröffentlichungen des letzten Jahres gehört.

Doch Billy Bang kann sich an die Session kaum erinnern, hat die Platte nicht mal ganz gehört. Die Zäsur in seinem Leben ist „Vietnam. The Aftermath“, ein Album von dichter Schönheit, voller vietnamesischer Klangelemente, das er gemeinsam mit schwarzen Vietnamveteranen eingespielt hat, darunter Butch Morris und der im letzten Jahr verstorbene Saxofonist Frank Lowe. Die CD bekam verschiedene Preise und die Sender Arte und BBC planen eine biografische Dokumentation über Billy Bang in Vietnam. Die Anerkennung, die Billy Bang heute erfährt, bedeutet zwar keine soziale Absicherung, „nur die Albträume lassen nach“. Und er weiß noch, wie es ist, unten zu sein. So kümmert er sich in New York ehrenamtlich um die Hotline der „Jazz Foundation“ für bedürftige Jazzmusiker. Dort kann man ihn anrufen, um zu erfahren, wer in den kleinen Clubs spielt, die nicht in der Village Voice stehen. Jeden Donnerstag.

Heute, 21 Uhr, Badenscher Hof, Badensche Str. 29, Wilmersdorf; morgen, 22 Uhr, A-Trane, Bleibtreustr. 1, Charlottenburg