„Davon ist momentan nicht viel zu spüren“

Michael Zschiesche, Chef des Berliner Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU), vermisst ein Anti-Kriegs-Engagement der Umweltbewegung. Ein Grund: Sie hat sich auf Lobbying und viele Fachgebiete spezialisiert

taz: Herr Zschiesche, die Umweltbewegung ist in Zeiten des Kriegsprotestes nicht als Bewegung präsent. Warum nicht?

Michael Zschiesche: Man muss das differenzieren. Natürlich gehen auch Umweltaktivisten auf die Straße, natürlich engagieren sich auch die Ökos gegen den Krieg. Wenn Sie Ihre Frage aber auf die „Institution“ Umweltbewegung beziehen – also auf die Vereine, Verbände, Bürgerinitiativen – stimmt die Einschätzung zweifellos.

Woran liegt das?

Das ist durch die Entwicklung der Umweltbewegung zu erklären. Die Umweltbewegung ist wieder eine Nischenbewegung. Sie vermag der Gesellschaft nicht mehr so viele Impulse zu geben wie früher. In Sachen Irak vermisst man deshalb die Umweltbewegung. Das, was einst als Bewegung begann, hat sich zu einer Institution entwickelt. mit professionellen, festen Arbeitsstrukturen, die stark in politische Lobbyprozesse eingebunden sind. Solche Institutionen sind zuweilen etwas schwerfällige Apparate, die immer erst Anlaufzeit brauchen.

Die Umweltbewegung hat sich gewandelt?

Zweifelslos. Am Anfang war Umweltbewegung eine „Betroffenenbewegung“. Das ist sie heute in großen Teilen nicht mehr. Weil die Umweltprobleme immer komplexer, immer differenzierter geworden sind, hat sich auch die Ökobewegung stärker ausdifferenziert. Es lässt sich heute mit den wenigsten Fachproblemen Betroffenheit in der Gesellschaft erzeugen. Diese Probleme verstehen schlicht nur Fachleute. Deshalb ist die Arbeit der Umweltbewegung auch etwas aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung gefallen. Die Umweltbewegung hat sich also stark spezialisiert. Wir haben heute Expertenteams, Arbeitskreise, Projektrunden …

die dann erklären: Keine Zeit und keine Kapazitäten, jetzt eine Antikriegsdemo zu organisieren oder mitzutragen?

Planfeststellungsverfahren, Anhörungen, Bauplanung – der Sachverstand, den sich die Umweltbewegung angeeignet hat, wird tatsächlich sehr intensiv abgefragt.

Heißt das: Die Umweltbewegung muss sich gar nicht gegen den Krieg engagieren?

Doch, natürlich. Wer sich im Kioto-Prozess einmischt, wer sich etwa mit Nachhaltigkeit oder Nord-Süd-Gerechtigkeit befasst und zu diesem Krieg schweigt, der macht sich unglaubwürdig. Außerdem hat die Umweltbewegung den Anspruch, auf die Gesellschaft hier einzuwirken, Druck auf die Regierung zu machen – oder wie in diesem Fall, den Antikriegskurs zu unterstützen. Insofern ist das, was aus den Reihen der Umweltverbände kommt, zu wenig. Ein Slogan der Umweltbewegung heißt: „Global denken, lokal handeln.“ Davon ist momentan nicht viel zu spüren.

INTERVIEW: NICK REIMER