Verschollen im Sandmeer der Südsahara

Mit Motorrädern und Autos durchqueren Abenteurer die Wüste. 29 Menschen werden zurzeit bei heftigen Sandstürmen in der algerischen Sahara gesucht. Einige persönliche Anmerkungen zum Wüstenfieber mit Adrenalinschub und zu den möglichen Gefahren eines romantischen Wüstentrips

von ANDREAS KIRCHGÄSSNER

„Noch bis Mitte April haben wir die Zeit der Sandstürme. Nicht einmal fünf Meter weit kann man dann sehen, und selbst die Straßen werden unpassierbar.“ Aitmesbh Farouk von der Ölfirma Petro Canada aus Illizi im tiefen Südosten Algeriens kann es nicht verstehen, dass viele Touristen gerade in dieser gefährlichen Jahreszeit auf eigene Faust zu Expeditionen in die algerische Sahara aufbrechen. Auch er will bei der Suche nach den verschollenen 29 europäischen Reisenden helfen und rätselt wie viele in der Gegend, was passiert sein könnte.

„Die Sandstürme der letzten Zeit erschweren die Suchaktion. Die Spuren werden sofort verwischt“, berichtet das Tourismusbüro der Region Wilaya, in dem das Städtchen Illizi liegt – Ausgangspunkt und Durchgangsstation für viele Wüstenfahrer. Von Illizi aus ist das algerische Militär vor gut einer Woche zur größten Suchaktion aufgebrochen, die in den vergangenen Jahrzehnten unternommen wurde, um ausländische Touristen wiederzufinden.

Mit Nachtsichtgeräten werden die Grenzregionen nach Libyen und Niger abgesucht. Die Nachforschungen am Boden und aus der Luft konzentrierten sich bislang auf einige hundert Kilometer eines ausgetrockneten Flussbettes (Oued) in der Region um Illizi. Während die algerischen Behörden weiter strikt schweigen, verlautete aus dem Tourismusbüro in Illizi: „Es sind nur uralte Autowracks gefunden worden.“ Hinweise auf die 29 Verschollenen, darunter 16 Deutsche, habe es nicht gegeben.

Die plausibelste Grund für das Verschwinden sei der vermutliche Orientierungsverlust der Reisegruppen, hört man aus algerischen Regierungskreisen. Es gibt aber auch Spekulationen, dass die Touristen entführt worden sein könnten. In der Region ist eine muslimische Extremistengruppe aktiv, die bereits im vergangenen Jahr mit Drohungen eine Verlegung der Rallye Paris–Dakar erzwungen hatte. Mag sein, dass bewaffnete Islamisten ihre Finger im Spiel haben. Es gibt aber noch eine Reihe weiterer Möglichkeitenen.

1991 fuhr ich in einem alten Bus auf der südalgerischen Hoggarpiste durch die Wüste nach Niger. In Tamanrasset erfuhr ich, dass das Land, auf dessen Boden ich stand, gerade von einem Militärputsch erschüttert wurde. Höchste Zeit, aufzubrechen. Da aber die völlig zerstörte Straße nach Tamanrasset die Federn des Busses hatte brechen lassen, der Motor zudem alles andere als vertrauenswürdig klang, hatte ich zunächst in Tamanrasset eine Reparaturwerkstatt aufzusuchen. Man brachte mich zu einem alten Targi, der mit Kfz-Teilen handelte.

Der Mann vom Volke der Tuareg war fast völlig verschleiert hinter blauen Tüchern. Er zeigte mir, nachdem er mir von seinem Kiff angeboten und seine hübsche junge Frau vorgeführt hatte, ein gewaltiges Ersatzteillager. Auf wundersame Weise war alles rostfrei, ohne jede Lackspur und in bestem Zustand. Er verlangte nicht einmal horrende Preise dafür. Das Zusammentreffen mit diesem Mann schien ein wahrer Glücksfall zu sein. Ich kaufte die Reparaturteile, baute sie ein und fuhr los. Immer und immer wieder gruben sich aber die Reifen meines überladenen Busses in den weichen Sand. Kubikmeter davon schaufelte ich, um Sandbleche unter die Räder zu bekommen. Abends fiel ich in voller Montur auf mein Klappbett.

Am nächsten Tag – ich beschäftigte mich gerade wieder mit Schaufeln – hielt jener Targi in einem Landrover neben mir an. Er neigte den mit einem Tugulmust umwickelten Kopf aus dem Fenster und sah voll Abscheu auf mich und meine schweißtreibende Arbeit. Dann musterte er den Wagen, nickte zufrieden und fuhr ohne ein Wort weiter. Ich deutete seine Reaktion immerhin als Vertrauen in mein Fahrzeug. Solches Vertrauen hatte ich dringend nötig. Denn die Leere der Wüste wurde immer wieder von Autowracks unterbrochen, die die Piste säumten. Insbesondere in schwer passierbaren Sandfeldern ruhten Scharen solcher toten Gehäuse. Die Trockenheit schützte sie vor Korrosion, der Wind hatte sie sandgestrahlt, so dass sie nun in einer obszönen Nacktheit herumlagen. Und in einem dieser Sandlöcher begegnete ich wiederum dem Targi aus Tamanrasset. Er schraubte von den verlassenen Blechleibern ab, was er brauchte. Hierher also kam der Nachschub für sein gut bestücktes Lager im entlegenen Tamanrasset. Und deshalb erfüllte ihn der Zustand meines Busses sichtlich mit Genugtuung. Verzweifelt schaufelte ich weiter. Als ich in der sengenden Sonne die nigrische Grenzstation Assamakka erreichte, schöpfte ich zum ersten Mal auf dieser Wüstenfahrt wieder Hoffnung. Zwar stürzten bewaffnete Soldaten höhnisch lachend und offenbar betrunken auf mich zu und forderten Bestechungsgeschenke. Ich aber glaubte mich im rettenden Hafen des Sandmeeres angelangt. Dass eher das Gegenteil der Fall war, erklärte mir ein aus der entgegengesetzten Richtung kommender Deutscher mit einem durchschossen Ohr: In den Dünen entlang der Piste nach Arlit warteten Tuareg, bewaffnet mit Kalaschnikows, auf Milchgesichter wie mich und versorgten sich mit Fahrzeugen und Geld für ihren Guerillakrieg gegen das nigrische Militär. Wer sich ihnen durch Flucht entziehen wollte, wurde ohne Vorwarnung beschossen.

Ich saß in der Falle. Umzukehren war angesichts des Zustands meines Wagens undenkbar. Weiterfahren schien ein Himmelfahrtskommando zu werden. Ich hatte noch 200 Kilometer Wüstenfahrt mitten durch einen Aufstand vor mir. Einen Aufstand, von dem ich bis dato noch nie etwas gehört hatte. Einziger Trost blieb, dass nicht nur ich in Assamakka festsaß, sondern ein bunt gemischter Haufen weiterer Europäer, zumeist Autoschieber, Abenteurer und organisierte Touristentrucks, die vor allem eines miteinander verband: wachsende Panik. Wie aufgescheuchte Hühner irrten wir durchs Lager und redeten auf die meist betrunkenen nigrischen Soldaten ein. Sofort gingen wir auf ihren Vorschlag ein, uns gegen Entrichtung von mehreren nigrischen Jahressalären, 200 Liter Sprit und einer Gefahrenzulage im Militärkonvoi nach Arlit begleiten zu lassen. Obwohl wir im Voraus zahlten und noch ein ordentliches Trinkgeld drauflegten, verzögerte sich die Abfahrt von Tag zu Tag. Als sich dann endlich der Konvoi mit unseren Beschützern an der Spitze in Bewegung setzte, legten die Militärs ein Tempo vor, bei dem nur die geländetüchtigsten und PS-stärksten Wagen mithalten konnten. Autoschieber, die nicht nachkamen, ließen ihre Fahrzeuge in der Wüste zurück und fuhren in den Wagen der anderen weiter. Zu diesem Schritt konnte ich mich noch nicht entschließen. So schaufelte ich meinen Bus allein durch die Wüste.

Am nächsten Morgen erschien vor meinem Wagen ein weiterer, allerdings in Lumpen gekleideter Targi. Er kam in Begleitung eines kleinen, halb nackten Jungen und deutete an, dass ich Feuerholz rausgeben solle. In meinem überladenen Bus hatte ich davon genug. Wie selbstverständlich entfachte er ein Feuer und verlangte in gebrochenem Französisch nach Teekanne und Tee. Hastig suchte ich alles zusammen. Bedächtig begann er unter tatkräftiger Hilfe des Kleinen, den Tee zu kochen, während ich ihm von meiner Not und meiner Angst berichtete. Das schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. Im Gegenteil: Immer wieder brach er in Gelächter aus. Und als mein Holz verbrannt, mein Tee getrunken und mehrere dick bestrichene Marmeladenbrote verzehrt waren, eröffnete er mir, dass jetzt ein Honorar für die Teebereitung fällig sei. Nach längerer Verhandlung schenkte ich ihm eine Zange.

Kurz nachdem er gegangen war, wurde in den nahen Dünen Maschinengewehrfeuer eröffnet. Wie durch ein Wunder traf kein Querschläger mich oder meinen Bus. Inzwischen hatte ich den Auspuff verloren. Ein Stein hatte die Bremsleitung durchschlagen. Die Motoraufhängung löste sich, der Kühlschlauch bekam einen Riss, ich verlor Kühlwasser. In diesem erbärmlichen Zustand röhrte ich weiter über die Piste, auf der mir niemand mehr begegnete. Bis mich plötzlich eine schwer bewaffnete nigrische Militärpatrouille stoppte.

Ob ich das Feuergefecht zwischen ihnen und diesen Tuaregbanditen gesehen hätte, fragten sie. Ich verneinte. Einen der Banditen hätten sie erwischt, berichteten sie. Ob ich ihn sehen wolle. Ich lehnte entschieden ab. Und doch zeigten sie mir die Leiche, die sie auf die Pritsche geworfen hatten. Es war unzweifelhaft einer der spanischen Autoschieber. Ich setzte an, das Missverständnis aufzuklären. Die Blicke der Soldaten rieten mir jedoch zu schweigen. So ließen sie mich passieren, und ich kam als der letzte Sahara-Durchquerer in Arlit an, bevor man die Grenze schloss: Inzwischen war ein ganzer Touristentruck mit 20 Passagieren gekapert worden.