„Wir passen Hollywood nicht“

INTERVIEW ANDREAS BUSCHE
UND HARALD FRICKE

taz: Mario van Peebles, Sie haben zur Berlinale einen Film über Ihren Vater mitgebracht. Was bewundern Sie an Melvin am meisten?

Mario van Peebles: Seinen Sinn für Humor, mit dem er sich durchs Leben geschlagen hat. Er hat zwar kämpfen müssen, aber er hat sich dabei niemals auf die Seite des Krieges ziehen lassen. So stelle ich ihn auch in meinem Film „Baadasssss!“ dar: Er kann die Leute mit seiner Energie für sich gewinnen – nicht nur Schwarze oder Weiße. Das finde ich sehr inspirierend.

Melvin, hat Ihr Sohn Recht?

Melvin van Peebles: Ich bin nicht der Typ, der sich selbst beobachtet. Als ich mein erstes Buch schrieb, haben mich nur zwei Professoren nicht für vollkommen übergeschnappt erklärt. Seither habe ich mir abgewöhnt, andere Leute nach ihrer Meinung zu fragen.

Deswegen zeigen Sie auch die selbstgerechte Seite Ihres Vaters?

Mario van Peebles: Das gehört zur Komplexität seiner Person. Und eine gewisse Härte ist der Zeit damals geschuldet.

Eine Härte, die Sie mit Ihrer Hommage würdigen?

Das Bild vom Krieg passt ziemlich genau: Man hatte Martin Luther King ermordet, Malcolm X, John F. Kennedy, und außerdem wurden die Black Panthers im ganzen Land gejagt. Mein Vater bekam Morddrohungen, schließlich hatte er sich mit seinem Film auf feindliches Terrain begeben. Als „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ 1971 herauskam, war es die erfolgreichste Independent-Produktion des Jahres. Melvin hat als Erster gezeigt, was möglich war.

Was macht seine Biografie 2004 wichtig?

Wir haben heute eine Situation, in der Kultur in Amerika staatlich immer weniger unterstützt wird. Schon unter Reagan wurde gekürzt, die Bush-Regierung macht es genauso. Insofern gibt es Parallelen: Mein Film ist wie der meines Vaters eine Independent-Produktion, weil er nicht ins System passt, weil er weder Comedy, HipHop oder Gangs zeigt. Es geht eben nicht um einen schwarzen Sportler oder Rapper, sondern um einen schwarzen Filmemacher. Damit hat Hollywood offenbar noch immer Probleme.

Trotzdem haben Sie sich nicht von dem Projekt abbringen lassen – genau wie der Vater?

Die Idee kam mir bei den Dreharbeiten zu Michael Manns Film „Ali“, in dem ich Malcolm X spielte. Wir haben uns oft auf dem Set darüber unterhalten, ob Muhammad Ali der erste Black-Power-Athlet gewesen ist, der den Boxring auch für die Sache der schwarzen Bevölkerung genutzt hat. Für mich war Melvin der erste Black-Power-Filmemacher, weil er das Kino eben nicht nur für Unterhaltung nutzte, sondern um die Situation der Schwarzen zu zeigen. Viel hat sich da im Laufe der Jahre nicht verändert: Als mein Vater in seinem Film zwei Cops zeigte, die einen Schwarzen zusammenschlagen, haben die Leute nur gemeint „Nein, so etwas gibt es nicht.“ Trotzdem kam es 20 Jahre später zum Fall Rodney King. Mit Filmen lässt sich Wirklichkeit kommunizieren, von dieser Möglichkeit darf sich niemand ausschließen lassen. Da halte ich es mit Malcolm X: „Wenn man dich nicht in ein Restaurant lässt, dann mach selbst eins auf!“

Also geht es um mehr Solidarität?

Da müssen Sie meinen Vater fragen, ich habe mich bei der Verfilmung an das gehalten, was er in seinem Tagebuch während seiner eigenen Dreharbeiten aufgeschrieben hat.

Okay. Stimmt es, dass Sie damals die volle Unterstützung seitens der Black Panther Party bekamen?

Melvin van Peebles: Die Black Panthers haben den Film allen Mitgliedern empfohlen. Selbst die Geistlichen, trotz der erotischen Szenen. Weil er, wie ein französisches Sprichwort sagt, „dem Mund der Wirklichkeit“ entsprang.

Mario van Peebles: Natürlich kann man es Solidarität nennen, was im Film passiert. Baadasssss wandelt sich, er findet von einem Ich- zum Wir-Gefühl, indem er einem Schwarzen hilft, der von der Polizei zusammengeprügelt wird, und deshalb selbst zum Gejagten wird.

Melvin van Peebles: Er handelt aus einem Impuls heraus, aber er lernt darüber eine politische Lektion. Das ist anders als bei einer politisierten Figur, die bereits ihren Marx gelesen hat. Hier kommt das politische Bewusstsein aus den Erfahrungen auf der Straße. Dass er überlebt, war mir besonders wichtig, denn ansonsten konnte man im Kino nur Schwarze sehen, die sich an der Seite von weißen Helden für die gerechte Sache opfern, so wie etwa in „Spartacus“.

Mario van Peebles: Man darf dabei auch nicht die Folgen vergessen, die der Film meines Vaters in Hollywood hatte. Plötzlich wurde das Kino für schwarze Helden empfänglich, plötzlich wurde in einem Film, der bereits in Arbeit war, ein weißer Detektiv kurzerhand durch einen schwarzen Darsteller ersetzt – das war die Geburtsstunde von „Shaft“. Als man sah, dass es Geld brachte, änderten die Studios eben die Hautfarbe. Daraus wurde eine Formel: schwarzer Held, schwarzer Soundtrack. Aber der ursprünglich revolutionäre Kern, um den es meinem Vater ging, der wurde weggelassen. Als Detektiv arbeitet Shaft nicht gegen, sondern für das System.

Was haben Sie daraus gelernt, dass Hollywood Ihre Idee mit der „Blaxploitation“-Welle ausgebeutet hat?

Melvin van Peebles: Ich habe verdammt noch mal überhaupt nichts gelernt. Ich kannte die Lehren ja schon, sonst hätte ich gar nicht erst angefangen, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Mir war klar, worauf ich mich eingelassen hatte. Als mir Columbia einen Vertrag für drei Filme anbot und mich bei der nächstbesten Gelegenheit fallen ließ, bin ich nicht durch die Gegend gelaufen und habe geseufzt: „Oh, wie konnte das geschehen!“ Das wäre ja so, wie es immer noch viele Linke halten: Sie glauben zwar nicht an den Nikolaus, stellen aber trotzdem einen Schuh vor die Tür.

Hätten Sie sich nicht mit gleich gesinnten Schwarzen zusammenschließen können, so wie es später die Black Rock Coalition gemacht hat?

Eben, das war später. Zu meiner Zeit hatte doch kein Schwarzer überhaupt Zugang zu den Apparaten und Strukturen, ich allein war es, der diese Möglichkeiten für sich in Anspruch genommen hat. Ich erinnere mich, dass man einmal ein Attentat auf mich verüben wollte, weil man mich in einigen Kreisen der schwarzen Community für einen CIA-Mann hielt. Wie es dazu gekommen war? Ich hatte einen Film gemacht, das konnte ein Schwarzer doch nicht allein geschafft haben! Also musste es eine Verschwörung geben, an der ich beteiligt war. Daran sehen Sie die Folgen der kompletten Kolonialisierung, die in den Köpfen existierte. Dagegen habe ich mich mit meiner Selbstermächtigung als Filmemacher zur Wehr gesetzt.

Dann ist die Anerkennung für Sie auch ein Erfolg für das „black cinema“?

Wo sehen Sie da einen Erfolg? Es gibt zwei, drei panafrikanische Filmfestivals, aber noch immer keine Vertriebe, die die Filme von dort auf den internationalen Markt bringen.

Sie haben von Selbstermächtigung gesprochen. Das läuft in Ihrem Film auf schwarze Männlichkeit hinaus.

Nein.

Nein?

Es ist ein Film über schwarze Selbstermächtigung, es ist ein Film mit einer politischen Message. Männlichkeit? Die gehört dazu wie Pferde zu einem Western.

Aber später in der Blaxploitation-Welle …?

Stopp, was soll das werden? Später ist später, nur damit hatte mein Film nichts zu tun.

Trotzdem gibt es schwarze Emanzipation, auch noch nach Melvin van Peebles. Heute sind Colin Powell und Condoleezza Rice Teil der Bush-Regierung. Ist es nicht seltsam, dass Schwarze ausgerechnet bei den Republikanern Karriere machen können?

Das kann ich Ihnen nicht in einem Gespräch über meine Filme beantworten. Was mich auf die Palme bringt, das sind Leute, die irgendwas Unqualifiziertes übers Kino reden. Und genau deshalb werde auch ich nicht mit Ihnen über Politik sprechen. Überhaupt, was ist das für eine Vorstellung? Schaut her, er macht Filme, jetzt soll er schön für seine schwarzen Leute sagen, was Sache ist?

Nein, so war das nicht gemeint.

Aber genau darauf läuft es hinaus. Willst du dazu etwas sagen, Mario?

Mario van Peebles: Puh, das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Stellen Sie sich vor, die einzigen weißen Regisseure auf der Welt wären David Lynch und Woody Allen. Dann kämen die Leute von überall zu den Weißen und würden fragen: Sind alle Weißen so seltsam wie die Menschen in deren Filmen? Aber nein, natürlich nicht, würden die Weißen empört antworten. Aber man würde ihnen nicht glauben, weil sie bei Lynch und Allen eben genau so aussehen. Also würden die Weißen irgendwann Druck auf die beiden ausüben, damit sie Filme machen, die der Normalität entsprechen. Plötzlich wären ihre Filme repräsentativ. Das könnte man auch auf Ihre Lage übertragen, da käme sicher etwas Komisches bei heraus. Ich könnte Sie zum Beispiel fragen, ob alle Deutschen im Internet für Kannibalismus werben? Hey, wie fühlt man sich, wenn man Menschenfleisch isst? Ich hoffe, Sie verstehen jetzt, was wir meinen.