Und jetzt live ins Berliner Weserstadion

An jedem Bundesliga-Spieltag treffen sich Werder-Bremen-Fans in einer Kneipe mit bayerischem Namen – mitten in Prenzlauer Berg. Während die Hauptstadt an den eigenen Kickern leidet, bedeutet Fußball im „Alois S.“ noch Euphorie

Wer Samstagnachmittag das „Alois S.“ im Prenzlauer Berg betritt, kann einen Hauch von Fußballhauptstadt spüren: Die Plätze sind bereits eine halbe Stunde vor Anpfiff besetzt. Immer noch drängen Menschen in die volle Kneipe. In der rauchgeschwängerten Luft knistert es: Gleich werden auf einer Leinwand die Helden auftauchen, und sie werden grüne Trikots tragen, genau wie viele der Fans vor dem Video-Beamer.

Dank Werder Bremen kommt an Bundesliga-Spieltagen in Berlin wieder so etwas wie Festtagsstimmung auf. Selbst Otto Schily hätte sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass zurzeit in dieser Stadt Worte wie Fußball und Hochstimmung eine zärtliche Verbindung eingehen.

Zumindest empfinden diese Symbiose die etwa 90 Exilbremer, die sich im „Alois S.“ versammelt haben. Lautstark machen sie ihrer guten Laune Luft, freuen sich für oder leiden mit den Werder-Kickern. Während des Spiels stellt sich einmal mehr die Frage, was Menschen dazu treibt, wegen einer Fernsehübertragung auszurasten – immerhin liegen ganze 568 Kilometer zwischen der Kneipe und dem Stadion in Mönchengladbach. Dort bemühen sich die Bremer gerade, einen 1:0-Rückstand aufzuholen. Als dann Bremens Klasnic den Ausgleich schießt, steht das „Alois S.“ Kopf. Die als kühl verschrienen Norddeutschen springen auf und umarmen sich stürmisch.

Fast wie im Weserstadion

Auch Horst Dierking reckt die Arme in die Luft. Dierking ist eigens aus Bremen gekommen, um sich das norddeutsche Get-together anzuschauen. Sein Sohn Lars hat die hiesige Bremen-Manie mit zu verantworten. Er war einer der 20 Werder-Fans, die den Wirt des „Alois S.“ davon überzeugen konnten, nur noch Spiele ihres Clubs zu zeigen.

Das geschah vor zwei Jahren beim Saisonfinale zwischen Werder und Bayern München. „Es waren nur zwei Bayern-Fans da, wir waren mehr“, erklärt Lars Dierking. Seitdem ist die Kneipe in weiß-grüner Hand. „Die Stimmung wird immer besser. Wenn es gut läuft, machen wir sogar die Welle“, schwärmt Dierking. „Hier ist fast eine Dynamik wie im Weserstadion“, stimmt sein Vater Horst zu.

Die samstäglichen Zusammenkünfte erleichtern Lars Dierking das selbst gewählte Exil. „Es ist das Beste, was man in Berlin kriegen kann.“ Und hier sei es allemal stimmungsvoller als im Olympiastadion, in dem der 26-Jährige einige Male war: „Das Stadion ist eine tote Schüssel. Da kommt keine Atmosphäre auf.“ Für ihn ist klar: „Ich gehe erst wieder zum Pokalfinale ins Olympiastadion, wenn Bremen dort das Double holt.“ Dass Bremen Pokal und Meisterschaft holt, steht für Dierking fest. Auch wenn er pflichtschuldig eingesteht: „Rein rechnerisch kann ja sogar noch Hertha Meister werden.“ Vater und Sohn lachen, vermutlich wegen der gerade gedroschenen Fußballphrase.

Mit zunehmender Spieldauer werden die Zuschauer in der Kneipe ungeduldig. Sie wollen den Sieg und treiben die Spieler auf der Leinwand immer wieder mit Rufen und Klatschen an. Ab und zu ärgern sich die Fans über den Schiedsrichter, doch es bleibt zivilisiert. Die Becks-Flaschen werden zum Trinken erhoben und nicht etwa als Wurfgeschosse missbraucht. Hannes Mitterhofer, einer der Kellner, kämpft sich durch die Menge. „Das sind alles nette Leute hier“, sagt der 27-Jährige aus Südtirol. „Und sie sind auch fair zu den Gegnern“, ergänzt er, bevor er sich wieder mit einem beladenen Tablett und einem lauten „Vorsicht!“ in die nächsten Zweikämpfe quer durch die Kneipe stürzt.

Ein Bayer unter Bremern

Kurz danach fällt der Siegtreffer zum 2:1 für Werder. Ein zweites Mal geht es drunter und drüber. Nur Kneipier Larry Heer zapft weiter gelassen Bier. Der Fußballfan mag seine Gäste: „Ich bin Werder wohl gesonnen“, sagt er. Wenn die Bremer die Meisterschaft holen sollten, schmeißt Heer eine große Feier.

Aber selbst dann wird eines nicht geschehen: „Ich werde nicht zum Werder-Fan. Mein Herz schlägt seit 40 Jahren für Bayern München.“ Und das können selbst 90 durchdrehende Werder-Fans nicht mehr ändern.

MARTIN GROPP