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hermann göring, sein kelch und ein hund namens benji von RALF SOTSCHECK

Kein historisches Ereignis – vom Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1966 mal abgesehen – fasziniert den Engländer mehr als der Zweite Weltkrieg. Damals musste man die Nation nicht mit Lügen und aufgebauschten Dossiers in den Krieg treiben. Die Nazis waren das unvorstellbar Böse, das die Nation noch heute in den Bann zieht.

Gegenstände, die von irgendwelchen Nazigrößen berührt oder gar getragen wurden, jagen dem Engländer noch heute einen wohligen Schauer über den Rücken und erzielen auf Auktionen Spitzenpreise. Von Hermann Göring scheint es eine unerschöpfliche Quelle an Memorabilia zu geben. Kevin Wheatcroft, ein Sammler aus Leicestershire, hatte einiges davon gehortet und seinem Freund James Flynn, einem Justizbeamten aus Dublin, verkauft: zwei Dolche, die Göring dem Nazistaatsminister Otto Meißner und dem Generaloberst der Waffen-SS, Josef Dietrich, geschenkt haben soll; zwei Schulterklappen, die angeblich von Görings Uniform stammen; ein SA-Schlagstock, den Göring auf einem zeitgenössischen Foto in der Hand halten soll. Insgesamt hat Flynn 160.750 Pfund Sterling dafür bezahlt. Irische Justizbeamte verdienen offenbar recht gut.

Und sie sind gutgläubig. Göring ist mit keinem der Gegenstände jemals in Berührung gekommen. Als das sogar Flynn schließlich dämmerte, reichte er Klage ein. Wheatcroft argumentierte, er habe nie behauptet, dass die Sachen authentisch seien. Er wird dem Richter erklären müssen, warum ihm Flynn freiwillig eine Viertelmillion Euro für militaristischen Plunder bezahlt hat, den er auf jedem Trödelmarkt für einen Bruchteil der Summe bekommen hätte.

Garantiert echt ist hingegen ein silberner Kelch mit einer Gravur: „Zur Erinnerung an die große Zeit. 7. 3. 36. Hermann Göring.“ George Armstrong, ein britischer Soldat, war bei der Befreiung 1945 als einer der Ersten in Görings Landsitz in Ostpreußen gestürmt. Er stopfte den Kelch in seinen Rucksack, versteckte ihn aber zu Hause im englischen Sunderland, weil er sich vor den Nachbarn mit einem Nazibecher geniert hätte. 50 Jahre später starb Armstrong, und der peinliche Kelch fiel seinem Freund Derrick Smith in die Hände.

Der gab ihn einer Bekannten als Pfand, weil er ihr 40.000 Pfund schuldete. Smith dämmerte schon bald, dass der Nazinapf weit wertvoller war, doch seine Bekannte wollte ihn nicht mehr herauszurücken. So entführte Smith kurzerhand ihren Benji, den Boxerrüden. Der Polizei gelang es mit einem Großeinsatz, das Tier lebend zu befreien, Smith musste für neun Monate ins Gefängnis. Das war vor knapp zwei Jahren.

Jetzt ging der Fall vor Gericht. „Wenn mir jemand heute früh erzählt hätte“, sagte Richter Ben Nolan, „dass ich es mit einem Fall zu tun bekäme, in dem es um Hermann Göring, einen Nazikelch und einen Hund namens Benji gehe, wäre ich im Bett geblieben.“ Er sprach dem überraschten Smith den Kelch zu, weil die Hundebesitzerin plötzlich kein Interesse mehr daran hatte. Bei einer Auktion wird er ein bis zwei Millionen Pfund einbringen. Vielleicht kann Flynn ja Dolche, Schulterklappen und Schlagstock kurz in den Kelch legen. Dann werden sie wenigstens zu Reliquien dritter Klasse.

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