Die Taktik des Platzwarts

Nach 19 Jahren gelingt Bochum wieder ein Heimsieg über Bayern. Die Protagonisten bemühen sich, darüber nicht zu jubeln. Denn für Neururer müssen Tore gegen Bayern selbstverständlich werden

AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN

Nur VfL-Boss Werner Altegoer passte der Heimsieg über Bayern München offenbar nicht in den Kram. Vergrätzt drückte sich Bochums Mächtiger lang nach dem Spiel aus der Umkleide und drohte der Presse aus dem Fahrstuhl heraus. Der Herner Brennstoffhändler hatte es sich anders vorgestellt und das auch die ganze Woche über in den Medien kundgetan. Seine Botschaft: Die Kluft zu den Spitzenteams werde immer größer, die Spannung in der Liga sei ernsthaft bedroht, Ausgleichszahlungen müssten her. Als Clou wollte der Aufsichtsratsvorsitzende wohl nach der obligatorischen Heimdemütigung durch die Münchner Fußballbonzen vor die Mikros treten und sagen: „Seht ihr, das meine ich!“ Nun, nach dem 1:0-Sieg der kleinen Bochumer über die großen Bayern, war es anders gekommen, und Altegoer polterte zwar, den Fuß in der Lifttür, die Solidarität in der Liga dürfe niemand auf die leichte Schulter nehmen. Dann aber entschwand seine Kabine – und natürlich ging es nach oben.

Dabei hätte sich Bochums Vorsitzender durchaus auf einen Heimsieg einstellen können. VfL-Trainer Peter Neururer hatte den Mund jedenfalls tüchtig voll genommen. Noch am Freitag verputzte er öffentlich drei Weißwürste, die symbolisierten für ihn drei Punkte, posaunte der Fußballpädagoge. Dazu schaltete der Hauptsponsor Anzeigen mit dem Slogan „Bye Bye Bayern“. Ob das gut gehen konnte? Es ging! Und wie!

Der Ball war gerade im Spiel, da dribbelte sich Nationalspieler Paul Freier schon vorbei an Bixente Lizarazu und Robert Kovac tief hinein in die Bayern-Abwehr. Bochum, aggressiv aufgestellt mit drei Spitzen und zwei offensiven Mittelfeldspielern, attackierte die Rekordmeister schon in deren Hälfte. Die Folge: In der achten Minute patzte Kovac, der Ball landete bei Freier. Sein Pass zerschnitt die bayrische Viererkette. Madsen erlief sich das Zuspiel, legte die Kugel vorbei an Kahn und traf aus spitzem Winkel ins leere Tor. In Madsens seltsam zurückhaltendem Torjubel verbarg sich das ganze Geheimnis des ersten VfL-Heimsieg über die Bayern seit 19 Jahren.

„Der Trainer hat gesagt, wenn ihr ein Tor macht, hebt ihr kurz den Arm und spielt weiter“, verriet VfL-Torwart Rein Van Duinhoven. Auf der Pressekonferenz erklärte Neururer die Jubelanweisung: „Auch Tore gegen FC Bayern müssen für uns selbstverständlich werden.“ Dann bedankte er sich bei seinem Zeugwart Andreas Pahl. Der habe schon im Sommer geraten, es gegen Bayern mal offensiver angehen zu lassen. „In der ersten Halbzeit haben wir die Strategie unseres Zeugwarts hervorragend umgesetzt“, sagte Neururer verschmitzt, in der zweiten Hälfte habe sein Team leider wieder die „Neururer-Taktik“ gespielt: „Wir haben nur noch versucht, das Ergebnis zu verwalten, das geht normalerweise in die Hose.“

Dass es dennoch gut ging, verdankt Bochum auch seltsamen Wechselentscheidungen von Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld. Zur Pause nahm er den engagierten Willy Sagnol heraus, der maßgeblich dafür sorgte, dass sich Bayern nach 35 Minuten langsam zurück ins Spiel foulte. In der zweiten Halbzeit ersetzte Hitzfeld auch Bastian Schweinsteiger, der gerade drauf und dran war, das Fehlen des gesperrten Michael Ballacks vergessen zu machen.

Warum Hitzfeld Schweinsteiger herausnahm, obschon er ihm eine „entschlossenere“ zweite Halbzeit attestierte? Schweinsteiger selbst mochte das nicht beantworten: „Ich muss die Entscheidung des Trainers akzeptieren.“ Torwart Oliver Kahn schwieg dazu nach der Partie – im Spiel brüllte er Hitzfeld sein Unverständnis unüberhörbar um die Ohren. Der reservierte Meistertrainer zuckte nur mit den Achseln und klammerte sich zehn Tage vor der Champions-League-Partie gegen Real Madrid an die zweiten 45 Minuten: „Wir haben alles riskiert, ein Punkt wäre verdient gewesen.“

Wie auch immer: Die machtvolle Heimserie der Bochumer konnte auch Bayern nicht stoppen. Ob sich vor dem Lieblings-Auswärtsspiel gegen Leverkusen nun die Bochumer Saisonziele ändern? Trotz allem Ballyhoo blieb Neururer hier den Vereinszielen treu. „Sicherlich denken wir an den europäischen Wettbewerb“, enthüllte er der Presseschar: „Wir denken ernsthaft an den UI-Cup.“

VfL Bochum: Van Duijnhoven - Colding, Kalla, Fahrenhorst, Edu - Zdebel, Oliseh - Wosz (71. Gudjonsson) - Freier (88. Meichelbeck), Hashemian, Madsen (60. Diabang)FC Bayern München: Kahn - Sagnol (46. Santa Cruz), Kuffour, Kovac, Lizarazu - Salihamidzic, Hargreaves, Schweinsteiger (75. Trochowski), Ze Roberto - Makaay, PizarroZuschauer: 32.645 (ausverkauft); Tor: 1:0 Madsen (8.)