: Neue Artenvielfalt durch Offshore
Schwedische Forscher geben Entwarnung: Im Meer errichtete Windkraftanlagen sollen doch keine Gefahr für Vögel darstellen. Statt dessen beobachten die Wissenschaftler die Entwicklung ganz neuer Biotope an den Fundamenten der Windräder
aus StockholmREINHARD WOLFF
Die Befürworter von im Meer errichteten Windkraftanlagen könnten durch zwei Studien Wind in die Segel bekommen. Nach deren Ergebnissen, die die staatliche schwedische Energiebehörde im März veröffentlichen wird, scheinen sich Besorgnisse über negative Auswirkungen auf das Tier- und Pflanzenleben nicht zu bewahrheiten.
Ornithologen einer Vogelstation an einer Kette von Windkraftanlagen im Kalmarsund vor der Ostseeinsel Öland – einer besonders stark frequentierten Vogelflugstrecke – haben seit dem Jahr 2000 rund 20.000 Vogelschwärme auf ihrem Weg an den Propellern vorbei beobachtet und dabei einen einzigen toten Vogel registriert – eine Ente, die mit einem Rotor kollidierte. Jan Pettersson, Chef der Beobachtungsgruppe, die sich bei ihrer Arbeit auch auf militärische Radaranlagen stützen konnten: „Das ist wesentlich weniger, als wir je erwartet hatten.“
Dänische Studien waren von einem toten Vogel jährlich pro Windkraftwerk ausgegangen. Diese Zahl war von den schwedischen Ornithologen ursprünglich als zu niedrig eingestuft worden. Doch tatsächlich ergaben die Beobachtungen, dass Zugvögel spätestens einen Kilometer vor den Windrädern sachte ihren Kurs änderten und dann mit gehörigem Sicherheitsabstand an diesen vorbeiflogen. Die zusätzliche Flugstrecke durch diese Kurskorrekturen schätzt Pettersson als minimal ein, so dass auch ein solcher Umweg kaum einen Einfluss auf die Vögel und deren weiteren Bestand haben dürfte.
Hat sich die Befürchtung, dass der Teil der Windräder über dem Wasserspiegel eine Bedrohung darstellt, damit möglicherweise schon in Luft aufgelöst, so schwärmen Forscher der Universität Stockholm von einem regelrechten biologischen Gewinn der Windkraftanlagen unter Wasser. Sie haben seit mehreren Jahren den Effekt von zwei meeresbasierten Windkraft-Parks auf den Bestand von Fischen und anderen Meereslebewesen verfolgt. Dabei waren sie davon ausgegangen, dass sich Muscheln und verschiedene Algenarten schnell an den Fundamenten festsetzen. Überrascht waren sie dann jedoch über den Umfang und das Tempo der tatsächlichen Ansiedlung . „Die Anlagen wirken wie ein künstliches Riff“, erklärt der Meeresbiologe Marcus Öhman. Das habe zur Folge, dass sich die lokale Artenvielfalt an manchen Stellen auffallend erhöht habe. Nicht nur am Fundament selbst, sondern in einem Umkreis von bis zu 20 Metern auf dem Meeresboden hätten sich nach wenigen Jahren dort vorher nicht vorkommende Organismen angesiedelt. Zugleich habe sich auch der Fischbestand deutlich erhöht. Als „geradezu fantastisch“ beschreibt Öhman diese Entwicklung. Es hätten sich sogar Arten angesiedelt, die eine wichtige Nahrung für den bedrohten Ostseekabeljau darstellten.
Was künftige Windkraftanlagen im Meer angeht, will man daher nun mit einer anderen Ausgestaltung der Fundamente experimentieren, die diesen Riff-Effekt womöglich noch optimieren kann. Damit soll vor allem die Ansiedlung größerer Algenarten gefördert werden, die einen Schutz für Fische und andere Meeresorganismen darstellen. Keine negativen Umweltauswirkungen also? „Nein“, meint Öhman, „viel spricht dafür, dass es tatsächlich keine gibt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen