Da geht sie hin und kommt nie wieder

Auch die „Dame von Warka“ wurde aus dem Nationalmuseum Bagdad von Plünderern entführt

Leider ist zu befürchten, dass der Kopf der oben abgebildeten Dame es nicht rechtzeitig vom Bagdader Nationalmuseum in den sicheren Safe (made in Germany) der Nationalbank geschafft hat. Der welberühmte Kopf der „Dame von Warka“, einer der frühesten Menschendarstellungen der Geschichte aus dem sumerischen Stadtstaat Uruk könnte demnach für immer verloren sein, zerschlagen, als scheinbar wertlos weggeworfen oder – was wahrscheinlicher ist – im Tresor eines privaten, westlichen Kunstliebhabers landen.

Obwohl die irakischen Museumsleute rechtzeitig viele der wertvollsten Exponate auslagerten, sollen über 100.000 Einzelstücke von der Frühzeit Mesopotamiens bis zur osmanischen Zeit geraubt oder zerstört worden sein. Zu Recht trifft jetzt der Zorn der Iraker wie der internationalen Museumsgemeinschaft die amerikanische Besatzungsmacht, die es versäumte, das Nationalmuseum vor Plünderern zu schützen. Der US-Streitmacht schien die Bewachung des Ölministeriums dringlicher, obwohl nur ein Panzer genügt hätte, das von einer hohen Mauer umgegebene Museumsgebäude vor dem Ansturm der Plünderer zu schützen. Im Vorfeld der Invasion hatte es in den USA noch eine Beratung von Militärs, Politikern und Museumsleuten und Alt-Orientalisten gegeben, wo seitens der Wissenschaftler dringlich darum ersucht wurde, das Nationalmuseum Bagdads zu bewachen. Angesichts der Bitten und Warnungen, die sich auf die Plünderung der Provinzmuseen während des Golfkriegs 1991 stützten, gilt die Ausrede der Amerikaner wenig, sie hätten sich auf die fortdauernden Kriegshandlungen konzentrieren müssen. Ihre Streitkräfte hatten Bagdad zur Zeit der Plünderungen bereits besetzt und waren als Besatzungsmacht nicht nur zum Schutz der Zivilbevölkerung, sondern auch des individuellen wie kollektiven Hab und Guts verpflichtet. Aber das ist ja alter Völkerrechts-Plunder. Obwohl Saddam die Anerkennung bedeutender Kunstwerke und Grabungsstätten als Weltkulturerbenicht sonderlich scherte, liegt es doch auf der Hand, dass die kulturellen Erzeugnisse des Zweistromlands zum Weltkulturerbe gehören, also der Achtung und Pflege der Weltgemeinschaft anheim gegeben sind. Abgesehen davon, dass sie auch zum zivilisatorischen Erbe eines modernen Irak zählen, den zu errichten angeblich das vornehmste Ziel der US-Streitkräfte ist.

Über die Motive der Bevölkerung gibt es die einschlägigsten Spekulationen. Sie reichen von nackter Habgier bis zur Abrechnung mit den Schätzen jener alten Herscher wie Hammurabi oder Nebukadnezar, als dessen Erbe sich Saddam ausgab, die jetzt quasi stellvertretend für Saddams Hausschatz beschlagnahmt wurden. Auch von einer Art suizidaler Vernichtung ist die Rede, damit das kulturelle Erbe nicht den westlichen Barbaren in die Hände falle. Dass hier auch organisierter Kunstraub unter der Maske des Plünderers vonstatten gegangen sein könnte, wird weniger häufig erwogen. Für Letzteres spricht, dass die Plünderer zum Teil erstaunlich zielstrebig und systematisch vorgegangen sind. Wie effektiv das Geschäft des Raubs auf Bestellung läuft, belegt das Schicksal der Objekte, die Opfer des Fischzugs in den Provinzmuseen 1991 wurden. Nur einige wenige der Kunstschätze sind je wieder aufgetaucht. CHRISTIAN SEMLER