Der Schlüssel zum Kreml

Eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle zeigt die 850 Jahre alte Geschichte des russischen Machtzentrums und die Verflechtungen von Kirche und Staat. Viele Exponate sind erstmals zu sehen

VON Katharina Klöcker

Rotgolden glänzende Zwiebeltürme, prächtig-prunkvolle Kathedralen und Paläste, 18 Hektar groß die Fläche, umgeben von einer 2,25 Kilometer langen roten Ziegelmauer und 20 Türmen: der Kreml, Russlands faszinierendes, seit 850 Jahren pulsierendes Herz. Wie kein anderes Bauwerk symbolisiert die gewaltige Anlage die enge Beziehung zwischen weltlicher und geistlicher Macht, die Russlands Schicksal Jahrhunderte lang prägte. Nun gewährt die Bundeskunsthalle in Bonn Einblicke in das große Herz Russlands und seine Schatzkammern. In der Schau „Der Kreml – Gottesruhm und Zarenpracht“ ist fast alles Gold, was glänzt. Mehr als 300 zum Teil noch nie ausgestellte Ikonen, Porträts, Herrscherinsignien, Waffen, Rüstungen und Schmuckstücke verleihen dem Mythos Kreml tief im Westen neuen Glanz.

Symbolisch der Auftakt am Eingang zur Ausstellung: Eine stumme Sequenz aus Sergej Eisensteins Filmklassiker „Iwan der Schreckliche“ von 1945 empfängt den Besucher, davor liegt in einer Vitrine ein Monstrum von einem Schlüssel – ziseliert, gedreht, graviert, stählern – groß genug, sich das Herz Russlands zu erschließen? Hinter dem im Halbdunkel liegenden „Schlüssel zum Erlösertor des Kreml“ leuchten die Zwiebeltürme in der Abendsonne.

Die Zeitreise durch die lange Geschichte des Kreml kann beginnen. Die Ausstellung schlägt einen großen Bogen, beginnt im 12. Jahrhundert, der ersten urkundlichen Erwähnung der Festung „Moskow“ im Jahr 1147, gelegen an dem strategisch verkehrsgünstigen Ort des Zusammentreffens der beiden Flüsse Moskwa und Neglinnaja. Die Bewohner der damals noch hölzernen Festung versteckten ihren wertvollen Besitz, den so genannten Großen Kreml-Schatz, vor den heranrückenden Mongolen in der Erde. Erst 1988 wurden diese Silberschmiedearbeiten geborgen und sind nun in Bonn zu sehen.

Das Ende der mongolischen Herrschaft durch den spektakulären Sieg auf dem Schnepfenfeld (1380) bescherte dem lange Zeit zersplitterten Reich vor allem unter Iwan III., dem Großen (1462-1505), eine neue künstlerische Blüte und eine kulturelle Wiedergeburt. Der bis dahin „weiße“ wurde von italienischen Renaissancebaumeistern in einen „roten“ Kreml verwandelt; der Bau erhielt Mauern aus roten Ziegeln und schwalbenschanzförmigen Zinnen. Ein Begleitfilm zur Ausstellung führt die Besucher auf eine virtuelle Reise durch die fast 900-jährige Baugeschichte der Festung, eines sich ständig wandelnden Architekturensembles.

Das Zarentum, das mit Iwan dem Schrecklichen und seiner Krönung 1547 begann, markiert den Beginn der engen Verquickung von orthodoxer Kirche und zaristischer Macht. Moskau beanspruchte für sich nach dem Fall Konstantinopels das „Dritte Rom“ zu sein, der Kreml wurde zum machtbewussten Zentrum „der ganzen Rus“, und die russisch-orthodoxe Kirche trug zur religiös untermauerten Staatsideologie bei.

Dies spiegelt sich in zahlreichen Ausstellungsstücken wider. Eindrucksvoll gearbeitete Ikonen wie etwa die Bilderreihe der Heiligen Pforte aus der Mariä-Verkündigungs-Kathedrale legen Zeugnis auch vom künstlerischen Selbstbewusstsein der Kirche ab. Der Zyklus entstand zum Gedenken an einen Sieg Iwans des Schrecklichen. Bis zur Oktoberrevolution 1917 blieb der Kreml Ort der Zarenkrönung, auch nachdem Peter der Große Sankt Petersburg 1712 zur Hauptstadt gemach hatte. Sein Mythos wirkt bis heute.

Die Ausstellung sei ein „Schlussakkord“ der Deutsch-Russischen Kulturbegegnungen 2003/2004, so Elena Gargarina, Generaldirektorin des Staatlichen kulturhistorischen Museums „Moskauer Kreml“, das in Zusammenarbeit mit der Bundeskunsthalle die Schau erarbeitet hat. Zwei prominente Fürsprecher melden sich in dem umfangreichen Katalog zur Ausstellung zu Wort: der russische Präsident Wladimir Putin und Bundespräsident Johannes Rau laden persönlich zur „grandiosen Ausstellung“ ein. Rau bemerkt dazu: „Ob es ihr gelingen wird, das Geheimnis Russland zu lüften, von dem Winston Churchill einmal gesagt hat: Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium? Das wird jeder Besucher für sich selber entscheiden müssen.“

„Der Kreml – Gottesruhm und Zarenpracht“: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Bis 31. Mai, Di und Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr.www.bundeskunsthalle.de