Rosen aus Saddams Garten

Tikrit, Saddam Husseins Heimat, ist von den Amerikanern besetzt. Der Palast des Exherrschers ist kaum zerstört

aus Tikrit MARCUS BENSMANN

Die linke Fahrbahnhälfte auf der Tigrisbrücke nach Tikrit weist zwei große Löcher auf, unter denen der Fluss hinwegfließt. Aus den Kanten ragen verbogene Betondrähte ins Freie. Schützenpanzer der US-Marines stehen gestaffelt am Brückenaufgang und versperren den Zugang in die norirakische Stadt. Ein 26-jähriger Marine aus Kalifornien steht mit anderen Soldaten rauchend an einem Panzerfahrzeug.

Der junge Amerikaner erzählt, dass die US-Truppen am Morgen von Süden her in die Stadt eingefahren seien. Jedoch hätte sich ihnen kein nennenswerter Widerstand entgegengestellt. Die regulären irakischen Truppen und die Spezialeinheiten in der Stadt hätten sich einfach aufgelöst, die Uniformen ausgezogen und die Stadt verlassen. Auch von den Mitgliedern des Saddam-Hussein-Clans seien die Amerikaner nicht bedroht worden, erzählt der Soldat.

In der Stadt selber sind kaum Zerstörungen des Krieges zu sehen. Bis auf die amerikanischen Soldaten trauen sich nur wenige Bewohner aus ihren Häusern. Die es jedoch tun, müssen sich den US-Soldaten mit erhobenen Händen nähern und sich einer Leibesvisitation unterziehen. Nur eine Hand voll Geschäfte und Teeküchen hat geöffnet und deren Inhaber freuen sich über die amerikanische Kundschaft. Die meisten Läden jedoch sind verrammelt. Der Strom ist ausgefallen und die Wasserversorgung dadurch unterbrochen worden.

Tikrit gleicht einer Geisterstadt. Nach wie vor kann man die zahlreichen Porträts, Mosaiken und Statuen von Saddam Hussein bewundern. So lächelt, reitet und repräsentiert sein Abbild weiterhin in einer Stadt, die ihm nicht mehr gehört.

In der Nähe des Stadtzentrums steht idyllisch am Tigrisufer gelegen der Alfa-Rugg-Palast. Ein monumentales Eingangstor aus braunem Sandstein weist den Weg über einen weitläufigen Park zu dem im orientalischen Zuckerbäckerstil errichteten Prachtbau. Die meterhohen beschlagenen Eisentore stehen sperrangelweit geöffnet und auch die zwei Reiterstandbilder auf der Kuppel auf den Torbogen, die Saddam Hussein mit gezücktem Schwert hoch zu Ross abbilden, können ungeladenen Eindringlingen den Zugang nicht mehr verwehren. Die Palastkuppel hat eine Rakete durchschlagen. Dennoch sind die weiten Flügel des Gebäudes unversehrt geblieben. Ausladende Kristallleuchter hängen funkelnd von den Decken, der Boden ist mit feinstem Marmor gefliest. Die Stuckverzierungen, Wandgemälde und die mit vergoldeten Wasserhähnen ausgestatteten Bäder offenbaren die Vorliebe des Baumeisters für orientalische Üppigkeit. Bis auf einige Teppiche sind die Räüme jedoch leer. Sie wurden allerdings nicht geplündert, sondern der Palast ist erst gerade wieder renoviert worden. Ursprünglich wurde der Bau 1989 errichtet, doch dann gleich wieder bei der Operation Wüstensturm zerstört. Die dann einsetzenden Neurenovierungen dauerten bis kurz vor dem jetzigen Krieg.

Ein 21-jähriger Araber geht staunend durch die großzügigen Räume, in seinen Händen hält er einen Strauß frischer Rosen, die er im Palastgarten gepflückt hat. Er wohnte all die Jahre am anderen Tigrisufer und konnte bis heute nur die Außenmauern des Palastes bewundern.

Vorsichtig wagen sich immer mehr Männer auf die Straße, auch wenn die am Himmel kreisenden Hubschrauber bedrohlich dröhnen. Von ausgelassener Freude ist bei diesen Menschen nichts zu spüren. Der 24-jährige Student Ali ist zwar froh, dass die Regierung Saddam Husseins zu Ende sei, aber dennoch traut er den Amerikanern nicht. Alle Umstehenden versichern, dass die Mitglieder des Saddam-Hussein-Clans in dessen Geburtsort 15 Kilometer von Tigris entfernt ausgewichen sind. Die mit langen Kaftanen bekleideten Araber nicken dem Studenten zu und schauen immer wieder verängstigt auf die patrouillierenden Panzer.

Das Gerede von der letzten Festung Saddam Husseins in Tigris zerrinnt in den Erzählungen der Einwohner zur Legende. Obwohl viele der Umstehenden von Plünderungen berichten, sieht man kaum etwas davon im Straßenbild. Der rasche Einmarsch der US-Truppen hat augenscheinlich schlimme Auswüchse wie in anderen nordirakischen Städten verhindert. So ist auch dem Saddam-Hussein-Krankenhaus in Tigris das Schicksal der Klinik in Mossul erspart geblieben. Die dortigen Ärzte sind zwar verängstigt und der Klinikdirektor geflohen, doch könnten sie den Krankenhausbetrieb aufrechterhalten, versichert der diensthabende Arzt Iyadda Aswad. Er sagt, dass am gestrigen Tag 20 Patienten mit Schusswunden eingeliefert worden seien. Am heutigen Tag seien aber keine neuen Fälle hereingekommen.

Die von den Amerikanern gesicherte Ruhe und Ordnung in Tigris endet jedoch schon auf der anderen Seite der Tigrisbrücke auf dem Weg nach Kirkuk. Die Araber aus den stadtnahen Dörfern haben sich bewaffnet und Straßensperren gebildet. Sie wollen auf jeden Fall den Weitermarsch der 20 Kilometer weiter östlich wartenden Peschmerga verhindern. In diesem Falle, schreit ein Araber, würden sie kämpfen.