Pariser Präsidentenwort auf dem Prüfstand

Ein damals linksradikaler italienischer Exilant bekam 1985 unter François Mitterrand Asyl. Jetzt sitzt er in Abschiebehaft

PARIS taz ■ „Wie viel ist das Wort eines französischen Staatspräsidenten wert?“ Diese Frage stellen sich in Frankreich jene Intellektuellen, Linken und PolitikerInnen verschiedener Richtungen, die sich für die sofortige Freilassung von Cesare Battisti einsetzen. Gestern Nachmittag demonstrierten sie vor dem Tor des Pariser Gefängnis mit dem irreführenden Namen „La Santé“ – „Die Gesundheit“. Auf der anderen Seite der Mauern sitzt seit vergangenem Dienstag Battisti. Der italienische Exilant befindet sich in Abschiebehaft. In Italien erwartet ihn lebenslange Haft.

Battisti ist einer von 100 einst militanten linksradikalen ItalienerInnen, die aufgrund einer Entscheidung von Präsident François Mitterrand aus dem Jahr 1985 Asyl in Frankreich bekommen haben. Mitterrand traf diese Entscheidung angesichts von politischen Prozessen in Italien. Diese waren von Rachegedanken und undurchschaubaren Justizmanövern und -manipulationen geprägt. Die harten Urteile basierten oft auf nichts anderem als auf den nicht überprüfbaren Aussagen von „Reuemütigen“. Diese einstigen MitstreiterInnen der Angeklagten kooperieren mit der Justiz, um für sich niedrigere Strafen zu erhandeln. Als Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht in Frankreich verlangte Mitterrand von den ItalienerInnen, dass sie dem bewaffneten Kampf abschworen.

Das hat Battisti getan. Der 49-Jährige war in den 70er-Jahren Mitgründer der „Bewaffneten Proletarier für den Kommunismus“. Seit er 1991 in Frankreich Aufenthaltsrecht bekam, lebt er offen mit Frau und zwei Kindern, schreibt Romane und veranstaltet Lesungen. Seine Jugendjahre bei den „bewaffneten Proletariern“ hat Battisti nie geleugnet. Er bestreitet aber alle vier Morde, die ihm die italienische Justiz zur Last gelegt hat. Technisch spricht viel dafür, dass er Recht hat. So wurden zwei Morde, für die Battisti in Italien in Abwesenheit verurteilt worden ist, am selben Tag und mit nur 25 Minuten Zeitabstand in Mailand und Venedig begangen.

Battisti floh 1979 aus einem italienischen Gefängnis. Zunächst nach Mexiko. 1990 nach Frankreich. An seinem Verfahren, das 1987 vor einem der Sondergerichte stattfand, die für die Aburteilung der linksradikalen Militanten geschaffen worden waren, nahm er nicht teil. In Frankreich wurde Battisti verhaftet. Nach fünf Monaten in Haft lehnte das Appellationsgericht in Paris seine Auslieferung ab. Begründung: Das italienische Urteil widerspreche den europäischen Grundregeln von einer unparteilichen Justiz und einem Recht auf Verteidigung.

Die Entscheidung des Pariser Gerichtes ist letztinstanzlich. Dass die französische Justiz sie jetzt dennoch in Frage stellt, lässt andere italienische ExilantInnen in Frankreich um ihre Zukunft fürchten. Auch ihre Angehörigen und MenschenrechtlerInnen machen sich Sorgen. „Es ist ein Signal an alle Flüchtlinge“, sagt der Mann einer Italienerin in Frankreich, „es bedeutet: lebt nicht, heiratet nicht, habt keine Kinder. Ihr befindet euch in ständiger Gefahr. Ihr könnt zu jedem Zeitpunkt ausgeliefert werden.“

Die Entscheidung der italienischen Sonderjustiz ist unantastbar. Ein zweites Verfahren gibt es in Italien nicht. Dennoch will der Pariser Justizminister Dominique Perben jetzt die von Italien gewünschten Auslieferungen einzeln prüfen. Eines steht fest: Die Justizzusammenarbeit zwischen Berlusconi und Chirac funktioniert. DOROTHEA HAHN