Anpassungsfähiger Android

„Wired“, das Zentralorgan der digitalen Revolution, feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag. Seit der Internet-Hype vorbei ist, sucht das US-Blatt seine Themen in den Populärwissenschaften

von TILMAN BAUMGÄRTEL

„Rezession. Der Irak. Harte Zeiten im Silicon Valley. Keine tolle Zeit, um optimistisch zu sein. So war 1993, das Jahr, in dem Wired geboren wurde.“

Und so beginnt ein etwas sentimentaler Artikel in der aktuellen April-Ausgabe von Wired, mit der die amerikanische Internet-Zeitschrift ihren zehnten Geburtstag begeht. Dass sich die Geschichte wiederholt, war in dieser Zeit freilich nie das Thema des Blattes, im Gegenteil: Wired will seit einem Jahrzehnt immer an der vordersten Front der technologischen Entwicklung und ihrer sozialen und kulturellen Folgen stehen. Optimistisch und zuversichtlich war das Zentralorgan der digitalen Revolution dabei immer.

Technologie-Lifestyle

Wired war bei ihrer Gründung 1993 die erste Lifestyle-Zeitschrift für Technologie. Sie beschäftigte sich durchaus visionär schon Anfang der 90er-Jahre mit den bevorstehenden fundamentalen Veränderungen, die Computer und das Internet auslösen würden. Aber ein Fachblatt für PC-Bastler, Freaks und Hacker war Wired nie.

Als Vorbild nannten die beiden Herausgeber Louis Rossetto und Jane Metcalfe die Musikzeitschrift Rolling Stone, deren Macher aus dem Zeitgeist des Swinging Sixties ein erfolgreiches Magazinkonzept entwickelt hatten. Immerhin hat das Blatt mit dieser Idee bis heute überlebt. Andere US-Zeitschriften, die wie Red Herring oder Industry Standard ebenfalls vom Cyber-Hype profitieren wollten, haben ihr Erscheinen nach dem Crash der Dot.com-Branche eingestellt. Wired, das inzwischen beim amerikanischen Conde-Nast-Verlag verlegt wird, gibt es hingegen immer noch – auch wenn Umfang und Anzeigenaufkommen mittlerweile deutlich zurückgegangen sind.

Für Traditionslinke ebenso wie für technologiekritische Europäer war das Blatt mit seiner naiven Begeisterung für den „Internet Way of Life“ lange Zeit ein rotes Tuch. Der britische Internet-Forscher Richard Barbrook konstruierte aus den Texten des Magazins gar eine „kalifornische Ideologie“: ein finsteres Amalgam aus blinder Technik-Euphorie, libertären Hippiewerten und neoliberalem Laisser-faire-Kapitalismus.

Der amerikanische Intellektuelle Mark Dery verglich das Blatt wegen seiner gewundenen, computergestalteten Optik gar mit dem Flüssigmetall-Androiden T 2000 aus dem Kinofilm „Terminator 2“, der jede beliebige Form annehmen kann. Dabei übertraf Wired selbst bei seinen wüstesten grafischen Exzessen mit leuchtenden Textmarker-Farben und weißer Schrift auf silbernem Grund nie die Layout-Orgien deutscher Techno-Magazine wie Frontpage.

Und auch wenn das Blatt immer wieder obskure Gestalten wie den „Telekom-Apostel“ Georg Gilder oder lang vergessene, fragwürdige New-Economy-Unternehmer aufs Titelblatt hob: Von so einem teuren, gründlichen und gut gemachten Journalismus wie in den langen Reportagen des Blattes kann die deutsche Presse nur träumen.

Kloning statt Internet

Mitte der 90er-Jahre hat es in Deutschland Gerüchte gegeben, dass es eine deutsche Wired-Ausgabe geben sollte. Daraus entstand schließlich das Gruner+Jahr-Blatt Konr@d, das freilich schon lange vom Markt verschwunden ist. Wired selbst ist mit dem Ende des Internet-Hypes ein wenig sein Thema verloren gegangen. Heute lesen sich die Aufmacher über Kloning, Hightech-Prothesen für Körperbehinderte und irgendwelche Durchbrüche in der Nanotechnologie wie eine Popversion von Peter Moosleitners Interessantem Magazin.