Der Apparat Abschiebegefängnis

Letztes Jahr häuften sich im Abschiebeknast Köpenick Selbstmordversuche. Inzwischen sind Zellenwände rosa gestrichen, der Freigang wurde auf 90 Minuten erhöht. Die „neue Verwahrphilosophie“ hilft Schwangeren wie der 17-jährigen Robina nicht

„Mir schweben Anpflanzungen vor – ein paar Büsche“

von SILKE KETTELHAKE

210 Menschen leben hier im Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick, 40 davon sind Frauen. Eine verschmutzte Schlinge aus einem zerrissenen Laken hängt an jeder der Außentüren im Gang zu den düsteren Sechserzellen. „Da können wir gar nichts machen“, sagt der joviale Leiter des Abschiebegewahrsams, Frank Kiele, „heute abgeschnitten, morgen wieder dran.“ Sein polizeisportvereinsgestählter Stellvertreter Roland Pieper demonstriert mit geübtem Schwung, wozu die Schlingen gut sind: Da sich die Türen nicht von innen schließen lassen, zieht man sie mit einer geschickten Drehung hinter sich zu.

Privatsphäre ist ein luxuriöses Fremdwort in dem ehemaligen Frauengefängnis, das aussieht, als wenn sich das Renovieren schon lange vor dem Ende der DDR nicht mehr gelohnt hätte. In Anbetracht der Decken und Wände stellt sich die unangenehme Erinnerung bekiffter Video-Abende mit dem Haft-Horrorthriller „Midnight Express“ unweigerlich ein. „Die spielen hier Teebeutel-Werfen“, so Pieper, „deshalb sieht das hier so aus wie getrocknetes Blut.“ Einfach mal gucken, wie lange der Beutel so an der Decke klebt.

Dass Langeweile tödlich und Hoffnungslosigkeit grausam sein kann, das zeigten die zahlreichen Selbstverletzungen und Hungerstreiks des letzten Jahres. Laut Sprechern des hier engagierten Flüchtlingsrates waren es 2003 28 Menschen, die Hand an sich legten. Gewahrsamsleiter Kiele weiß keine genauen Zahlen: „Da haben wir keine Statistiken.“ Der hoffnungsfrohe Polizist Kiele ist hier seit dem Sommer 03 im Dienst. Außerdem habe sich ja in dem letzten Jahr auf Weisung des Innensenats eine Menge geändert: Jetzt gibt es einen Besucherraum, 9 der 13 Trennscheibenkabinen, in denen kein körperlicher Kontakt möglich war, wurden abgeschafft. Die „neue Verwahrphilosophie“ äußert sich in 90 statt 60 Minuten Freigang, auf den Etagen werden für den Trakt jeweils zugängliche Küchen installiert, persönliche Gegenstände können eingeschlossen werden, Mobiltelefone sind erlaubt. Regelmäßig tagt die „AG Humanisierung“ aus Vertretern von Innenverwaltung und Polizeibehörde, um die Zustände im Abschiebegewahrsam zu überprüfen.

Frank Kiele: „Vieles ist nur entstanden durch den Druck, den die Insassen selbst aufgebaut haben vor einem Jahr.“ Besonders stolz ist er, dass die Innengitter in den Zellen nach und nach abgebaut werden. Zwischen Fensterfront und Zelle führte ein Gang. Wollten die Häftlinge frische Luft einlassen, waren und sind sie auf die Hilfestellung des Wachpersonals angewiesen. Auf drei Etagen sind die Innengitter entfernt worden, neun Etagen sind es insgesamt. Unter der Führung von Frank Kiele ist schon einiges anders geworden, aber er wünscht sich noch mehr: „Mir schweben Anpflanzungen vor – Jungbäume, ein paar Büsche, nicht immer dieses Grau. Bei entsprechender Jahreszeit könnten die Verwahrten die Grünanlagen pflegen, Tomatenpflanzen anlegen und ernten: Alles, was in diese Richtung geht, schafft auch Eigenverantwortung.“ So wurden die neuen Zellen mit Hilfe der Häftlinge renoviert: Hellrosa, Blau und Grün wechseln sich ab – und die Licht schluckenden Innengitter sind abgebaut worden.

8,47 Euro können sich die Häftlinge mit solchen Arbeiten pro Tag verdienen. Allerdings kostet ein Tag in der Haft 60 Euro, ein teures Zwangshotel für die Flüchtlinge, die die Kosten, so weit als möglich, aus ihrer persönlichen Barschaft aufbringen müssen. Daran hat auch die neue Gewahrsamsordnung, die in den nächsten Wochen in Kraft treten wird, nichts geändert: „Verfügt der Häftling über Bargeld, sind die Kosten gegebenenfalls durch Anordnung und Vollstreckung einer Sicherheitsleistung zu sichern“, heißt es hier nach wie vor. Nimmt man den Flüchtlingen damit nicht die letzten Groschen, und sie kommen mittellos im Abschiebeland an? Frank Kiele: „Das mag man so sehen, das mag auch so sein. Aber es gibt eine gesetzliche Grundlage, die von den in politischer Verantwortung Stehenden aufrechterhalten wird – es liegt nicht an uns, daran etwas zu ändern. Und es liegt auch nicht an uns, darüber ein Urteil zu fällen.“

Die illegal in Berlin aufgegriffene Susi aus Bosnien-Herzegovina – so nennen sie alle im überbelegten Sechserzimmer, in dem noch eine Matratze liegt – ist Fürsprecherin nicht nur der Roma-Frauen in ihrer Zelle: „Wie sollen wir das jemals zurückzahlen! Ich sitze hier jetzt seit mehr als 90 Tagen, jeder kostet 60 Euro: Das macht über 5.400 Euro!“ Damit handelt sie sich ein lebenslanges Einreiseverbot in die EU ein.

Eifrig malen die Roma-Frauen mit den mitgebrachten Filzstiften, üben das Schreiben, malen Zahlen. Robina, 17, scheint alles um sich vergessen zu haben, einzig, was der rote Stift in ihrer Hand macht, zählt. Ihren runden, schwangeren Bauch sieht man unter dem hohen Tisch nicht. Ihre Familie ist in Spanien, der Vater des Kindes in Berlin.

Susi redet sich in Rage: „Jede sucht sich ein besseres Leben, das ist ganz normal. Arbeit, Wohnung, Essen, Kleidung, ein normales Leben will ich führen. Einen Tag soll man mir hier geben, und ich finde Arbeit! Wir haben in Jugoslawien alles verloren. Jeder schubst uns, weil wir Zigeuner sind. Man behandelt uns wie Hunde. Und da man Hunde in Deutschland, glaubte ich, besser behandelt als Menschen, kam ich hierher. In Jugoslawien muss ich mich auf die Straße stellen zum Überleben. Und wenn einer sagt, komm, ich bring dich rüber, dann gehst du mit. Jemand hat Glück, oder jemand hat Pech, wie ich.“ Sie lacht verzweifelt. „Ich würde es noch mal probieren.“ Susi sitzt auf heißen Kohlen, ihre Papiere seien von der Botschaft bestätigt, eigentlich könne es sofort losgehen. Frank Kiele: „Wir haben keinen Einfluss darauf, wo und wann wir diese Menschen bekommen, auch nicht, wann jemand entlassen oder abgeschoben wird. Unsere Aufgabe ist, das Verwahren hier möglichst sicher zu halten, so dass es nicht zu Fluchtfällen kommt.“

Dass Robina ihr Kind nicht in der Haft bekommen muss, verdankt sie hauptsächlich der Gefängnisseelsorgerin Kornelia Frisch, die mehrmals in der Woche vor Ort ist: „Robina ist oft in einem schläfrigen Wachzustand, als wenn sie sich den ganzen Tag wegträumen würde.“ Dem Apparat Abschiebegefängnis steht die evangelische Pastorin oft hilflos und voller Wut gegenüber: „Der Informationsfluss lässt doch sehr zu wünschen übrig, ich habe den Eindruck, dass viele Dinge einfach verschleppt werden, wichtige Unterlagen werden, scheint mir, an manchen Stellen schlichtweg vergessen.“

Aus der Gewahrsamsordnung: „In den Abschiebegewahrsam dürfen nur Gewahrsamsfähige untergebracht werden. Nicht gewahrsamsfähig können insbesondere Hilflose, Bewusstlose, Kranke sowie Gebrechliche und Hilfsbedürftige, die einer sofortigen stationären Behandlung bedürfen, sein.“ Und wie passt eine Siebzehnjährige, in der 29. Woche schwanger, in diesen „Verwahrtenbegriff“? Frank Kiele: „Wenn besondere Umstände seitens hier einsitzender Personen bestehen, dann mag das sein, aber diese Abweichung ist mir nicht bekannt. Und sofern sie bekannt wird, kümmern wir uns sofort um eine Klärung. Teilweise wird von den Frauen behauptet, sie seien schwanger. Immer wird ein Hinweis an den ärztlichen Dienst gegeben.“ Bei ihrer letzten Untersuchung wurde Robina von der Polizeiärztin an einen gynäkologischen Arzt verwiesen, der ihr am 27. Januar den Mutterschaftspass ausstellte, mit dem sie eigentlich sofort hätte entlassen werden müssen.

Sedana, eine Kosovo-Albanerin, wurde 1991 mit ihrer Familie vertrieben. Sie war zwölf Jahre alt, als sie vergewaltigt wurde. Vor einer Woche sollte sie wieder in das Kosovo abgeschoben werden. Sedana hat versucht, sich die Pulsadern aufzuschlitzen. Frank Kiele: „Erstversorgung steht für uns an erster Stelle. Und alle, die von hier aus diesen Gründen in den Krankenhäusern erscheinen, werden erst einmal einer psychologischen Begutachtung unterzogen.“ Nach der Versorgung im Krankenhaus kam Sedana in Einzelbeobachtung zurück nach Köpenick. Frank Kiele: „Das wird so gehandhabt nach einem Suizidversuch: Ist der Häftling wieder bei uns im Gewahrsam, dann wird er einzeln verwahrt. Isolierhaft, das ist ein Begriff, den ich so gar nicht hören will! Der Gewahrraum ist ein ganz normaler Zellenraum. Im Regelfall steht dann die Tür offen, vor diese Tür wird ein Tisch gestellt, an dem ein Mitarbeiter sitzt und permanent den Häftling im Auge hat.“ Kornelia Frisch wärmt sich an ihrer Tasse. Leise sagt sie: „Ich war dort bei ihr und habe versucht, sie zu trösten. Sie konnte nicht aufhören zu weinen.“ Reiner Zufall, dass das Wachpersonal die Blutlache bemerkte. In der Nacht schlitzte sich Sedana ein zweites Mal die Pulsadern auf.

Frank Kiele: „Wir bemühen uns weiter, es hat sich viel getan. Die positive Tendenz, die wir sehen, geht dahin: Humanisierung, Liberalisierung – immer innerhalb einer Begrenzung durch den Stacheldraht. Aber an diesen Dingen können wir nichts ändern. Innerhalb der Strukturen, die wir beeinflussen können, da versuchen wir zu beeinflussen.“