Kein Fest der Freude in Athen

Unter der Akropolis unterzeichnen die Vertreter von 15 alten und 10 neuen Mitgliedsstaaten die Verträge, die die größte Erweiterung in der Geschichte der EU besiegeln. Doch das historische Ereignis wird vom Streit über den Irakkrieg überlagert

aus Athen NIELS KADRITZKE

Es war so schön gedacht. Europa sollte seine – vorläufige – Vollendung unter der Akropolis feiern – dort wo die Idee der Demokratie geboren wurde, wie nicht nur die Griechen behaupten. Zugleich ist der Ort der Unterzeichnungsfeier für die zehn Beitrittsländer eine Stoa, also eine Markthalle aus römischer Zeit, und erinnert daran, dass die EU in den Römischen Verträgen als Wirtschaftsgemeinschaft konzipiert wurde.

Aber Symbolik hin oder her. Selbst der Akropolis wurde die Show gestohlen. Der Irakkrieg, sein Ausgang und seine Folgen für Europa sind allgegenwärtig. Auch in der Körpersprache der Protagonisten, die 200 Meter Anlauf haben, bis sie von den griechischen Gastgebern am Aufgang zur Stoa begrüßt werden. Die Iraksieger aus Großbritannien, Tony Blair und Jack Straw, genießen den Auftritt vor imperialer Kulisse, der Premier mit entschlossen nach oben weisendem Daumen, als könne er sich das V-Zeichen gerade noch verbieten.

Dabei sollten die Stars der Veranstaltung die Vertreter der zehn Beitrittssaten sein. Es sollte eine große Europafeier werden, aber die Stimmung in Athen ist nicht danach, sehr zum Verdruss der griechischen Gastgeber. Das zeigt sich auch im Athener Straßenbild. Durch die ausnahmsweise autofreien Straßen des Zentrums zieht eine Demo mit rund 3.000 Teilnehmern zur US-Botschaft, mit Parolen gegen den Weltsheriff George W. Bush und den britischen James Bond-Blair.

Auch der Gipfel selbst ist thematisch aus der Balance geraten. Die Pressekonferenz mit UN-Generalsekretär Kofi Annan und Tony Blair ist besser besucht als das Briefing der Präsidentschaft mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis, mit Valery Giscard d’Estaing als Vorsitzenden des Europäischen Konvents und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi.

Statt die „Wiedervereinigung Europas“ über den alten „Eisernen Vorhang“ hinweg zu feiern, ist das Hauptthema die drohende Spaltung in das „alte“ und das „neue“` Europa, wobei sich zum Letzteren auch die Mehrheit der osteuropäischen Beitrittsländer zählt. Die Themenverschiebung liegt aber auch daran, dass es in Athen nicht viele neue Erkenntnisse zu der seit gut einem Jahr diskutierten Frage der Neuregelung der EU-Institutionen gab. Zwar wurde eine der üblichen „Deklarationen“ beschlossen, die der erweiterten Union mit der Formel von der „Gemeinschaft der Werte“ eine qualitative Dimension zuschreiben will: ein Bekenntnis zu den Menschenrechten, zur nachhaltigen Entwicklung und zur Vollbeschäftigung. Und natürlich zu Toleranz und Respekt vor der Vielfalt. Aber was das in einem Europa mit 25 Mitgliedsstaaten heißt, dazu kann man auch in Athen nicht viel erfahren.

Die Verfassung, die der Konvent ausarbeitet, soll bis zum EU-Gipfel am 20. Juni in Thessaloniki als Entwurf vorgelegt werden, aber bei den kontroversen Themen zeichnete sich unter den Staats- und Regierungschefs noch keine Einigung ab. Wie der EU-Außenminister zwischen Kommission und Europäischem Rat verankert werden soll, ist ebenso unklar wie die Frage, ob die rotierende Präsidentschaft Bestand haben kann. Aber hier scheint sich die Stimmung hin zu einer Stärkung der Gemeinschaftsinstitutionen wie Kommission und Parlament zu wenden. Diese Ansicht vertrat zumindest Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gegenüber Journalisten.

Bei der Frage der Zahl der EU-Kommissare scheinen sich die kleineren Länder damit abzufinden, dass auf lange Sicht nicht jedes Mitglied mit einem Kommissar vertreten sein kann.

Die Unsicherheit darüber, ob jetzt wirklich die Grundlage für ein einiges Europa gelegt wird, kann man in Athen allenthalben spüren. Die Griechen versuchen dieser Unsicherheit mit tapferer Symbolik zu trotzen. Vor der Tagungsstätte im neoklassischen Zappion hängen nicht nur die Fahnen der 27 Länder, die bis 2007 die erweiterte EU ausmachen werden. Sondern auch die Fahnen der Türkei und aller Balkanländer. Doch nur wenn die jetzige Erweiterung gut geht, haben sie eine Chance, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.