KZ-Brief nach 59 Jahren gefunden

Im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin hat ein Maurer einen Brief entdeckt, den ein Häftling eingemauert hatte. Gestern wurde er veröffentlicht

ORANIENBURG taz ■ Maurer Jürgen Steffin weiß mit Mörtel und Steinen umzugehen. Für Geschichte interessiert er sich weniger. Doch am 3. April fiel dem 51-jährigen Brandenburger Geschichte quasi vor die Füße. An diesem Tag riss er eine Wand ein. Die stand in der so genannten Waffenmeisterei des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Plötzlich fiel aus einem Hohlraum eine grüne Flasche und zersprang. Zwischen den Scherben lag ein vergilbter Zettel. Bleistiftkalligrafie in altdeutscher Handschrift.

Was er da zu lesen bekam, hatte am 19. April 1944 ein anderer Maurer aufgeschrieben: Anton E. war damals 42 Jahre alt, Kommunist und trug seit sieben Jahren die KZ-Häftlingsnummer 175. Doch was hatte er geschrieben? Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten machte es spannend. Der Brief habe den Charakter einer Botschaft an die Nachwelt, teilte Stiftungssprecher Horst Seferens am Montag mit. Gestern nun wurde der Text bekannt gegeben: „Nach der Heimat möchte ich wieder … Wann sehe ich meine Lieben aus Frechen-Köln mal wieder. Mein Geist ist trotzdem ungebrochen. Bald muß es besser werden“, notierte er auf dem Zettel. Dann rollte er ihn, steckte ihn in eine Flasche und mauerte diese ein. Behilflich dabei war ihm sein damals zwanzigjähriger polnischer Mithäftling Tadeusz Witkowski. Beide arbeiteten im KZ-eigenen Baukommando – und hatten Glück: Sie überlebten.

Witkowski ging nach Kriegsende nach Amerika. Die heute 87-jährige Witwe des Anfang der 80er-Jahre verstorbenen E. wolle nach Sachsenhausen kommen, sagte Gedenkstättenleiter Günter Morsch. Für ihn ist der Brief eine „unheimlich aufregende Sache“. Von der Witwe erhofft er sich das, was vielen Gedenkstätten fehlt: mehr Aufschluss über einzelne Schicksale. Jürgen Steffin ist zurückhaltender. Er weiß nicht recht, was er von dem Fund halten soll: „Wenn dat jemanden wat bringt, bin ich nich dajejen.“ Auf jeden Fall aber hätten Witkowski und E. gute Arbeit geleistet. „Die Wand war jrade jemauat.“ MATTHIAS BRAUN