Warum man redet und sich wiederholt

Die Flaschen heben sich, die Flaschen senken sich, und einer tritt aus der Reihe: In der Kammerbar des Deutschen Theaters hat Bettina Bruinier David Foster Wallace‘ Buch „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ inszeniert

Warum redet jemand? Um Antwort zu geben, Stellung zu nehmen, etwas zu erzählen, keine Stille aufkommen zu lassen, sich zu rechtfertigen. Um sich selbst zu hören? In David Foster Wallace’ „Kurzen Interviews mit fiesen Männern“ bricht es geradezu aus den fünfen heraus, die da in der Kammerbar des Deutschen Theaters zusammengekommen sind: Sie reden ohne Punkt und Komma. Reden mal eloquent und flüssig, sich ihrer selbst sicher, mal stammelnd und stockend, unsicher und schwitzend. Aber sie reden. Weniger miteinander als vielmehr mit sich selbst oder mit einem unsichtbaren Fragesteller oder Gesprächspartner. Mal ans Publikum gewandt und mal in sich versunken. Warum redet man?

David Foster Wallace’ Buch „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ ist eigentlich eine Sammlung von Kurzgeschichten, die der amerikanische Autor im Laufe der letzten Jahre in verschiedenen Magazinen publiziert hat. Zunächst haben sie also nichts miteinander zu tun, die einzelnen fiesen Männer – jeder spricht in der Inszenierung von Bettina Bruinier in der Kammerbar des Deutschen Theaters seinen eigenen Text, eher als Monolog denn als Interview mit Frage und Antwort. Mit den Monologen der jeweils anderen verbindet die Sprecher nur das eine große, übergeordnete Thema: das Kreisen um die eigene, mehr oder weniger perverse, mehr oder weniger obsessiv beobachtete Sexualität.

Die Storys sind kurz und unspektakulär. Ein Einarmiger berichtet davon, wie er Frauen aufreißt, ein Handlungsreisender erzählt von der unverhofften Begegnung mit einem „Mädchen mit Titten“, ein Vergewaltiger versucht, sich intellektuell zu rechtfertigen. Die Zusammenhangslosigkeit der Geschichten bewirkt, dass man sich fühlt wie beim Zappen vor dem Fernseher – und wie beim Zappen entstehen in der Kammerbar neue Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Dingen.

Die Bühne von Claudia Rohner macht aus der Kammerbar eine Flughafenlounge. Neben der Treppe, auf der die fiesen Männer lümmeln, steht ein Fahrkartenentwerter von der BVG, an dem zum Schluss das Boarding eröffnet wird – von einem der herzigen Stewardessmädchen, die im Laufe des Stückes auch für die Versorgung der fiesen Männer mit Bier zuständig sind.

Das rituelle Biertrinken trennt die einzelnen Monologe voneinander. Eines der langbeinigen, strumpfhosigen Mädchen übernimmt kurzfristig die Rolle des Fluglotsen, der die Männer auf eine bestimmte Position dirigiert. Dort stellen sie sich in eine Reihe, heben die Flaschen, lassen das Schöfferhofer fließen, senken die Flaschen – und einer löst sich aus der Reihe, beginnt zu reden, während die anderen sich wieder zurückziehen. Hinter den Fenstern glänzt eine Urlaubskulisse mit Palmen, aber die halb heruntergelassenen Jalousien halten den Blick auf, lenken ihn zurück zum Gate. Vor den Fenstern sitzt der Reisende mit dem himmelblauen Shirt und spricht.

„Ich wieder mal der Letzte im Flieger …“, „ich mit Musterkoffer und Mappe“, „Veloursfliesen, unterste Qualität“. In den reproduzierten sprachlichen Mustern („da machste nix dran“) scheinen die Ödnis auf und die Einsamkeit und Langeweile, aber die Geschichte handelt natürlich nicht davon, sondern von dem Abenteuer mit dem Mädchen mit den Titten. Die Nahaufnahme des Handelsvertreterjargons ist gnadenlos: Von Anfang an strahlt das, was da erzählt wird, seine ganze grell überblendete Hässlichkeit aus. Ebenso schnell, wie die Geschichte begonnen hat, ist sie wieder vorbei. Jeder Monolog zoomt bestimmte Bilder der allgemeinen Hässlichkeit heran, vergrößert sie, kurz ist der Fokus der Aufmerksamkeit auf diese Bilder gerichtet, aber dann bricht er ohne wirklichen Höhepunkt ab. Dass der Abend trotzdem ein theatralisches Highlight ist, liegt vor allem an der bitterbösen Schärfe der Inszenierung und daran, dass von den fiesen Männern Peter Beck, Martin Brauer, Timo Dierkes, Horst Lebinsky und Peter Pagel jeder auf eine so unverwechselbare Art und Weise fies ist, dass es eine wahre Freude ist. Da machste nix dran. ANNE KRAUME

Nächste Termine: 24. 4., 21.30 Uhr; 3. 5., 22 Uhr; 9. 5., 22.30 Uhr, Kammerbar im Deutschen Theater