Wir nehmen auch Polen!

Viele deutsche Grenzstädte wünschen sich ab dem 1. Mai volle Freizügigkeit für polnische Arbeitskräfte. Nur im Kanzleramt heißt es weiter: Abschottung

AUS FRANKFURT (ODER) UND GUBEN UWE RADA

In Guben reden sie alle von der Arbeitslosigkeit. 20 Prozent beträgt die, viele der Betroffenen sind Langzeitarbeitslose. Klaus-Dieter Hübner, der Bürgermeister der brandenburgischen Grenzstadt zu Polen, redet dagegen von der Arbeit, die es gibt: „Aus den Betrieben kommen immer wieder Nachfragen nach hoch qualifizierten Fachkräften“, sagt der hemdsärmlige FDP-Politiker. „Das Problem ist nur, diese Fachkräfte gibt es auf unserem Arbeitsmarkt nicht mehr. Alle weg, im Westen.“

Neu ist das Problem nicht. Kaum einer, der in Brandenburg im vergangenen Jahr nicht über „Verödung und Verblödung“ gesprochen, geschimpft oder lamentiert hätte. Neu ist aber, wie die Bürgermeister der brandenburgischen Grenzstädte über alle Parteigrenzen hinweg mit dem Thema umgehen, nämlich offensiv. „Wenn wir keine Arbeitskräfte aus Brandenburg bekommen, dann müssen sie eben aus Polen her“, sagt Klaus-Dieter Hübner. Kontakte zur Universität in Zielona Góra (Grünberg) hat er bereits geknüpft. Das Problem ist nur: Auch nach dem polnischen EU-Beitritt am 1. Mai bleibt der deutsche Arbeitsmarkt für polnische Arbeitskräfte gesperrt. Eine zunächst auf zwei Jahre veranschlagte Übergangsfrist, die aber auf insgesamt sieben Jahre ausgedehnt werden kann, soll die Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken. Zum Schutz des deutschen Arbeitsmarktes vor der Konkurrenz aus Polen, wie Kanzler Gerhard Schröder immer wieder betont.

Das sieht man in Brandenburg inzwischen anders. „Das, womit man uns schützen will, kehrt sich nun gegen uns“, ärgert sich der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), Martin Patzelt (CDU). Wie sein Gubener Kollege macht sich auch Patzelt inzwischen für eine sofortige Öffnung des Arbeitsmarktes für polnische Arbeitnehmer stark. Leicht gefallen ist ihm dieser Schritt nicht. „Natürlich denke ich dabei immer an die Frankfurter, die Angst vor der polnischen Konkurrenz haben“, sagt er. „Schwer wird es auch für die Bäcker, die Handwerker. Aber wir haben keine Alternative. Die Öffnung ist die einzige Chance.“

Vergangene Woche bereits sind die Stadtoberhäupter von Guben und Frankfurt zusammen mit ihrem Kollegen Peter Schauer (SPD) aus Schwedt mit ihrer Forderung nach „Ausnahmetatbeständen“ zumindest für die Grenzregion an die Öffentlichkeit getreten. Auf einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Werkstatt Europa“ in Guben präzisierten sie am Montagabend ihre Vorstellungen. „Bei jedem Gespräch mit Investoren holen wir inzwischen das Arbeitsamt und die Ausländerbehörde mit an den Tisch“, sagt Frankfurts OB Patzelt. „Mittlerweile gibt es auch Signale, dass wir bei einer Ansiedlung von 50 Arbeitsplätzen für Deutsche auch 20 Polen beschäftigen können.“

Patzelt weiß, wovon er spricht. In Frankfurt läuft ohne Polen inzwischen nichts mehr. In vielen Geschäften machen polnische Kunden die Hälfte des Umsatzes, im städtischen Klinikum arbeiten bereits polnische Ärzte, weil deutsche Mediziner lieber nach Berlin gehen, und in den leer stehenden Plattenbauten der 70.000 Einwohner zählenden Stadt sähe Patzelt lieber heute als morgen polnische Mieter. Der Grund: Im polnischen Słubice auf der anderen Seite der Oder wächst die Zahl der Wohnungssuchenden. Ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, ist Patzelt überzeugt, ist für beide Seiten von Vorteil. „Doch die Politik will davon nichts wissen“, schimpft er, „die Angst vor den Wählern ist groß.“

Erst recht, weil in diesem Jahr nicht nur der EU-Beitritt Polens ansteht, sondern auch gewählt wird. Der brandenburgische Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) zum Beispiel unterstützt den Hilferuf der Bürgermeister, hat das Thema bisher aber noch nicht auf die Tagesordnung der großen Koalition in Potsdam gebracht. Auch in Sachsen, wo der Görlitzer Oberbürgermeister Rolf Karbaum schon lange eine sofortige Öffnung der Grenze für Arbeitnehmer und Dienstleister fordert, hält man sich bedeckt. Auch dort sind wie in Brandenburg am 19. September Landtagswahlen.

Eine gemeinsame Bundesratsinitiative zur sofortigen Einführung der Freizügigkeit ist also nicht in Sicht. Einzig und allein das Land Berlin hat im derzeit laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Einschränkung der Freizügigkeit bereits eine Protokollnotiz im Bundesrat eingebracht. Darin fordert der PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolff eine Öffnungsklausel, die es den einzelnen Bundesländern ermöglichen soll, ihren Arbeitsmarkt und Dienstleistungssektor schon vor Ablauf der Übergangsfrist zu öffnen.

Doch im Kanzleramt ist diese Botschaft noch nicht angekommen. Dort gilt noch immer, was Gerhard Schröder sagte, nachdem er die Übergangsfristen vor drei Jahren in Brüssel erfolgreich ausgehandelt hatte: Wenn es im Zuge der EU-Erweiterung zu sofortiger Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt käme, wäre Deutschland mit einem verstärktem Zuzug konfrontiert. Und das wäre für Teile des Arbeitsmarktes nicht verkraftbar.

Heute fragt Klaus-Dieter Hübner, der Bürgermeister von Guben: Welcher Arbeitsmarkt?