ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über Sinn und Zweck

Warum ich nicht mehr auf Friedensdemos gehe

Ich gebe es zu: Ich bin seit dem 15. Februar nicht mehr auf eine Friedensdemo gegangen. Nicht, weil die sonstigen mir zu klein waren. Im Gegenteil fand ich die erste so groß, dass es an der demoüblichen Gemütlichkeit und dem Gefühl, unter sich zu sein, fehlte. Ich verlor meine Freunde innerhalb Minuten und verbrachte einen Großteil meiner Zeit neben einem kleinen Spanier, der zwar den deutschen Wortschatz beherrschte, aber offensichtlich nur spanische Grammatik. Er behauptete, die Vereinigten Staaten seien ein Konstrukt der Illuminaten. Die seien, so der finster guckende Spanier, eine Verschwörung von Reichen, die sich zusammengetan hätten, um die Welt zu regieren.

„Wieso eine Verschwörung? Das tun die Reichen doch ganz offen“, entgegnete ich. „Außerdem komme ich aus den Staaten – und unter uns, die Amis sind als Volk viel zu zerstreut, um eine vernünftige Verschwörung durchziehen zu können. Über die Hälfte von uns schafft es nicht einmal, wählen zu gehen.“ Da wusste der Spanier nicht weiter und rannte weg. Vermutlich wollte er seinen Genossen mitteilen, er habe einen echten amerikanischen Illuminaten entlarvt und zudem einen strategisch wichtigen wunden Punkt in dem Geheimbund entdeckt: Geistesabwesenheit.

Nein, ich bin nicht mehr auf eine Demo gegangen, weil ich mir langsam um meine geistige Gesundheit Sorgen mache. Seit dem ersten Tag des Krieges geht es mir nicht sonderlich gut: Ich rauche zu viel und starre gedankenverloren bis zu vier Stunden am Tag gegen die Wand – mindestens eine Stunde mehr als üblich. Außerdem träume ich oft von einem alten grauen Soldaten, der mir vorwirft, ich würde nicht genug für die Armee tun. „Aber ich bin gar nicht in der Armee“, sage ich dann. „Ich bin ein kleiner friedlicher Journalist. Außerdem finde ich den Krieg scheiße.“ „Genau das ist das Problem, Private Holschuh. Ab sofort sind Sie zum Europäer degradiert“, sagt dann der Soldat, steigt in sein hellblaues Raumschiff und braust weg Richtung Disneyland. Woher ich weiß, dass er nach Disneyland will, verstehe ich selber nicht. Aber so ist das eben in Träumen.

Nach den Ursachen dieser zunehmend störenden Erscheinungen muss ich nicht lange suchen: Ich bin ein Amerikaner in Deutschland und gegen den Krieg. Das ist ungemütlich. Wenn ich für den Krieg wäre, hätte ich den Luxus, wütend auf die ganzen deutschen Weicheier zu sein. Wenn ich in Amerika wäre, könnte ich nach San Francisco ziehen, mich mit anderen vernünftigen Amis verhaften lassen und mich wie ein Prophet in der Bush-Wildnis fühlen.

Aber hier in Deutschland bleibt mir nur eins übrig: stummes Nicken. Ja, ja, ihr habt Recht. Die Politik der Bundesregierung ist meiner Meinung nach dermaßen korrekt, dass es mich paralysiert hat. Und in einer Zeit, wo die Mehrheit meiner Landsleute sich zerstörerisch dämlich benimmt, wo die Zukunft der Welt auf einmal gar nicht so rosig aussieht, und in der vor allem Krieg herrscht, macht es mich verrückt, nur zu zustimmen.

Und diese großen Zustimmungsfeste in Mitte, wo die Leute von hier bis da latschen und rufen, dass sie gegen einen Krieg sind, den ihre eigene Regierung und die überwiegende Mehrheit ihrer Mitbürger auch nicht billigen, bringen mich zur Verzweiflung. Gegen wen sollten wir eigentlich demonstrieren? Gegen die Amis? Ami bin ich – also sind die Demos Anlass zum Selbsthass? Nein, lautet die schön differenzierte Antwort. Wir demonstrieren gegen ganz bestimmte Amis. Gegen Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice.

In einzelnen Fällen wird bestimmt weiter gegen die Illuminaten demonstriert. Aber hören die überhaupt zu? Da habe ich meine Zweifel. Ich will hier nicht argumentieren, dass Demos keinen Zweck haben – es ist immer gut, die eigene Meinung zu äußern. Und vielleicht helfen die Großdemos Schröder, auf Kurs zu bleiben. Zudem werden die Demos doch zur Kenntnis genommen – zumindest von einem Amerikaner, der weiterhin zu Hause sitzt, sich Sorgen um seine Heimat macht und stillschweigend nickt.

ARNO HOLSCHUH, 27, war Reporter in Kalifornien und lebt derzeit für ein Jahr als Fulbright-Stipendiat in Berlin