Heißes Rauschen

Club, Kunst, Theorie: Seit Anfang Februar macht die freie Initiative reboot.fm drei Monate lang auf 104,1 „besseres Radio“ für Berlin und setzt damit dem Formatradio das Unfertige als Markenzeichen entgegen. Die Bundeskulturstiftung macht’s möglich

VON CHRISTOPH BRAUN

Am Rauschen ist der Sender zu erkennen. Denn die Wahrscheinlichkeit des Rauschens ist bei Radio reboot.fm um einiges höher als bei all den anderen Stationen Berlins. Seit Anfang Februar sendet reboot.fm nun schon aus den Räumen des Bootlab e.V., wo sich verschiedene Kunst- und Internet-Kollektive niedergelassen haben. Der ehemalige Piratensender Twen FM und die Streaming-Website klubradio.de zum Beispiel, die beide Radioerfahrung haben. Aber auch Filmemacherinnen, Open-Source-Programmierer und die Internetseite www.textz.com, eine Sammlung linker Literatur und dekonstruktivistischer Theorie, siedeln in der Ziegelstraße in Mitte, gleich neben einem der ehemaligen WMF-Räume. Die Bootlab-Leute bilden den harten Kern von reboot.fm, jenem Radio, das nun eine Lizenz für 100 Tage erhalten hat.

„Die Radiolandschaft Berlins stagniert“, konstatiert Pit Schulz. „Es werden überall die Hits der letzten Jahrzehnte gespielt. Dazu nimmt die Formatierung ständig zu: KissFM spielt nur 30 verschiedene Songs am Tag,“ erklärt er seine Motivation, einen „anderen Sender“ zu entwickeln. Pit Schulz ist Projektleiter von reboot.fm. Als Mitgründer des Vereins Bootlab e.V. hat er dafür die entsprechenden Erfahrungen und Verbindungen. Denn reboot.fm versteht sich nicht einfach als „alternatives Radio“, vom Musikprogramm bis hin zur verwendeten Soft- und Hardware möchte man ein „besseres Radio“ machen.

Die reboot.fm-Show des Netz-Musiklabels Thinnerism zum Beispiel geht direkt als Internet-Stream zum Sendemast, dem Funkturm am Berliner Messegelände. Das Studio dient in diesem Fall nurmehr als Durchgangsstation. „Wir möchten eben die Gruppen selber sprechen lassen“, erklärt Schulz das dezentrale System. „Der Stadtraum soll in den akustischen Raum transformiert werden. Deshalb verzichten wir lieber auf eine mächtige Redaktion, auch wenn die Selbstvermittlung der Beteiligten rough und kantig klingt.“ Das etwas rauh und unfertig klingt, das passiert durchaus in diesen ersten Tagen von reboot.fm. Unbeabsichtigte Programmlöcher von über zehn Sekunden, ein Interview mit Antonio Negri, dessen Klangqualität auf ein Diktiergerät schließen lässt.

So etwas kommt eben vor in den Anfangswochen, die der neunköpfige harte Kern des Senders als „Beta-Phase“ bezeichnet. Und es passt ja auch konzeptionell, wenn nicht alles gleich so glatt läuft. Ist doch der reboot.fm-Gegner, also das Formatradio, ganz darauf ausgelegt, das Rauschen zu vernichten. Störungsfrei kann die Nähe zum konsumwissenschaftlich erforschten „Zielpublikum“ besser demonstriert, ja simuliert werden. Ein Rauschen würde der Dienstleistungsmentalität des Formatradios widersprechen. Es würde entweder Unprofessionalität oder eine mangelhafte Sendeleistung signalisieren – eine eindeutige Schwächung im Konkurrenzkampf. Bei reboot.fm dagegen bedeutet das Rauschen: Ein Medium macht sich selbst kenntlich. Es gehört zum Markenzeichen, zum Kern des Entwurfs.

„Neben der möglichst direkten Beteiligung informeller Netzwerke der Stadt ist es uns besonders wichtig, eine eigene Technologie zu entwickeln“, erläutert Pit Schulz eine weitere Grundüberlegung des Senderkonzepts. So entwickeln drei der neun reboot.fm-Leute, die dank einer Förderung der Bundeskulturstiftung von 175.000 Euro zumindest zeitweise auch Geld vom Sender erhalten, eine neue Software. Sie basiert auf Linux und somit dem Open-Source-Gedanken. Auch empfiehlt die Redaktion allen Programmbeteiligten das Lizenzmodell „Creative Commons“. Kommerziell dürfen Artefakte mit „Creative Commons“-Label nur auf Anfrage genutzt und medial verbreitet werden, unverändert und mit Angabe der Autorschaft.

Für die Beteiligten ist das deshalb ein interessantes Modell, weil reboot.fm mehrere internationale Programmpartner hat. Dazu gehören InterSpace in Sofia (www.i-space.org), Resonance FM in London (www.resonancefm.com) und Sarai in Neu Delhi (www.sarai.net).

In Zukunft können also vielleicht auch Shows wie die live aus dem Bootlab gesendete „Montagsbar“, in der Frathese Toys und das Jeans Team auflegen, per Creative-Commons-Lizenz nach Sofia geschickt werden.

Ende April endet das Projekt reboot.fm. Doch wird gemeinsam nach einer langfristigen Nachfolgeplattform gesucht. Dazu arbeitet reboot.fm eng mit der Berlin-Brandenburger Radiokampagne zusammen. Deren Ziel ist es, für die beiden Länder Brandenburg und Berlin eine Gesetzesklausel zu erreichen, wie es sie in Bayern, Hamburg und vielen anderen Ländern schon gibt: einen Paragrafen, der die Sendefrequenz für ein alternatives Radio im Rundfunkstaatsvertrag garantiert. Für das Recht auf Rauschen.

Reboot.fm: Täglich von 12 bis 6 Uhr auf UKW 104,1 und im Internet auf www.reboot.fm. Mehr zur Radiokampagne Berlin-Brandenburg auf www.radiokampagne.de