Säkularisierte Spiritualität

„That‘s as high as we get“: NDR-Bigband und -Chor führen erstmals in Hamburg Duke Ellingtons „Concert of Sacred Music“ auf

von JULIAN WEBER

„Will bigbands ever come back?“ Angesichts dessen, was der englische Deep House-Produzent Matthew Herbert auf seinem just erschienenen Album Goodbye Swingtime mit dem Bigband-Genre anstellt, müsste man Duke Ellingtons – wohl rhetorische – Frage, gestellt auf einem Album aus den 60er Jahren, mit Ja beantworten. Man könnte aber auch zurückgehen und direkt bei Ellington nachhören, was es mit der rhythmischen Vitalität des Combosounds auf sich hat.

Eine Gelegenheit dazu böte sich am kommenden Montag, wenn die NDR-Bigband mit der Sängerin Etta Cameron und dem NDR-Chor unter Leitung von Örjan Fahlström Ellingtons Concert of Sacred Music erstmals in Hamburg aufführt – wobei hoffentlich keine Nostalgie-Rallye herauskommt.

Ellington selbst bezeichnete das Concert einmal als „das wichtigste, was ich je gemacht habe“. Als es im September 1965 in San Francisco zur Uraufführung gelangte, befassten sich junge afroamerikanische Jazzmusiker an der Ostküste statt mit Wohlklang längst im Kollektiv mit Free Jazz als der geeigneten Ausdrucksform, um den Wahnsinn rassistischer Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung in einer vergifteten gesellschaftlichen Atmosphäre musikalisch darzustellen. Ellington, der Auteur im eleganten Anzug, hatte da schon eine weite Wegstrecke zurückgelegt, vom Jump&Jive des Cotton Club zum deftigen Hard Bop in den 50ern, zum anerkannten Elder Statesman und Jazzbotschafter, der im Auftrag des US-Außenministeriums durch die Welt tourte.

Dabei machte Ellington auch in Ägypten Station, wo er aber nicht mit den Pharaonen in andere Galaxien abhob wie sein Kollege Sun Ra. Bei genauerem Hinhören werden die strukturellen Gemeinsamkeiten später Ellingtonia zu den musikalisch freien Arbeitsweisen von Sun Ras Arkestras dennoch erkennbar. Nicht nur, wie beide den Gesang in ihre Versionen von Jazz inkorporierten, wie sie die Bläsersätze phrasieren ließen und vom Piano aus dirigierten. Es gab personelle Überschneidungen, und Ellington, ganz wie Sun Ra, begriff seine Mitmusiker als eine Ersatzfamilie.

„Er spielt dich und du spielst sein Instrument“, sagte der Arrangeur Billy Strayhorn einmal über den Duke. Ellington konnte nicht nur maßgeschneidert für die einzelnen Mitglieder seines Orchesters komponieren, er war auch dem Anlass entsprechend sehr genau mit der Auswahl der Kompositionen. „Ra und Duke hören die gleiche Musik in sich“, so der Saxophonist Pat Patrick. Auch Ellington besann sich in seinen Spätwerken auf ältere Jazztraditionen und kehrte zurück zu den Wurzeln des Genres und den Schauplätzen der Jugend, was zu so entspannten Ellington-Alben wie New Orleans Suite führte und eben zum Concert of Sacred Music. Waren es bei der Suite der Blues und der Rekurs auf die Anfänge des Jazz und der Blasmusik der Begräbnisse in New Orleans, so kamen beim Concert die Traditionen von Spiritual und Gospel zum Tragen.

So behandelt das Concert of Sacred Music zwar religiöse Themen und fängt sogar mit den ersten vier Worten der Bibel im Eröffnungsstück an – „In the Beginning God“ –, zählt die Briefe des Neuen Testaments auf und covert das Vaterunser. Aber es ist streng genommen keine geistliche Musik. An einer Stelle der Originalaufnahme verkündete Ellington „that‘s as high as we get“, und er spricht auf einen lang gezogenen Klarinettenton an. Man fühlt sich in den Gesangspassagen an die Rasereien aus dem Gospelgottesdienst erinnert, Ellingtons „Sacred Music“ ist jedoch eine säkularisierte Form von Spiritualität mit honkenden Saxophonen und Stride-Zitaten am Piano.

Interessant wäre also zu sehen, welche Wirkung Ellingtons Musik heute in einem Rahmen wie der Hamburger Johanniskirche ausübt – etwa auf Anhänger von Matthew Herberts deephousigem Bigband-Sound.

Montag, 20 Uhr, St. Johanniskirche Altona