In Sturmgewittern

Bergsteigen im Karakorum-Gebirge als ideologische Ersatzleistung nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg: Marcello Baldis Dokumentation ,,Sieg auf dem K2“ von 1955 ist heute im Lichtmeß zu sehen

Am 20. April 1954, neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs startet auf dem Flughafen in Rom eine lange und intensiv vorbereitete Expedition italienischer Alpinisten mit dem Ziel, als Erste den zweithöchsten Berg der Erde, den K2, zu erklimmen. Der Regisseur Marcello Baldi hat diese Tour de force seinerzeit im Auftrag des italienischen Alpenvereins vom Beginn der Planung bis zur Besteigung des Gipfels in einer Dokumentation mit dem Titel Sieg auf dem K2 zusammengefasst.

Entstanden ist allerdings ein randvoll mit Ideologie gefüllter Film, der von der Dramaturgie der Bilder über die musikalische Begleitung bis zum erläuternden Kommentar keinen Zweifel daran lässt, dass mit dieser Expedition das Trauma des verlorenen Krieges überwunden und ein nachträglicher Sieg über die Amerikaner errungen werden sollte. Der K2, mit seinen 8611 m der höchste Berg im Karakorum-Gebirge in Pakistan, gilt seit der pseudoaufklärerischen Vision von der auch materiellen Herrschaft über die „Heimat der Götter“ als der schönste, aber gefährlichste Achttausender. Seit dem 1909 gescheiterten Versuch des Herzogs von Abruzzen, die Spitze dieser vertikalen Eiswüste zu erreichen, haben die Italiener laut Baldis Film den K2 zu ihrem Schicksalsberg erkoren.

Das Bezwingen dieses gigantischen Massivs war, so lässt sich der Dokumentation entnehmen, – vor allem in der Konkurrenz zu einigen amerikanischen Expeditionen Ende der 30er Jahre in den postfaschistischen Nachkriegsjahren – zu einem wesentlichen Beitrag nationalen Selbstverständnisses avanciert. An einer solchen Ausweitung der Kampfzone auf den alpinen Bereich, innerhalb derer das Bergsteigen förmlich zu einer Ersatzleistung für den Eroberungskrieg wird, scheinen der Regisseur Marcello Baldi und der Leiter der Expedition, Professor Ardito Desio, ein geradezu obsessives Interesse entwickelt zu haben.

Neben der überdeutlich an die propagandistischen Machwerke Leni Riefenstahls erinnernde Bildmontage und der gezielt chauvinistischen Zurschaustellung der als Lastträger ausgebeuteten Einheimischen, erschüttert der Film durch die militaristische Diktion in der Metaphorik des unterlegten Off-Kommentators. Unaufhörlich ist die Rede von der „Eroberung des Berges“ durch die „übermenschlich“ konditionierten Gipfelstürmer, vom „Angriff auf den K2“ oder vom „Sturm auf den Thron der Götter“. Wenn es dann in dem zitierten Brief eines Bergsteigers an die zu Hause für seine baldige Heimkehr betende Familie heißt, „der Sturm beschieße wie eine Maschinenpistole Tag und Nacht ununterbrochen das Zelt“, ist nicht mehr sicher, ob hier nicht gar Ernst Jüngers Kriegstagebücher als Referenzliteratur benutzt wurden.

Konnte Siegfried Kracauer in seinen Analysen des Weimarer Kinos noch eine psychisch verdrängte Sehnsucht nach Macht und gleichzeitiger Unterwerfung diagnostizieren, so tritt hier das Trauma eines regredierten und entfesselten Bewusstseins offen zu Tage. Doch der Veranstaltungsort wird‘s richten.

Matthias Seeberg

heute, 20 Uhr, Lichtmeß