Baustellenbücher

Spagat zwischen 1906 und 2005: Impressionen eines Rundgangs durch die unfertige Zentralbibliothek im Polizeihaus Am Wall

Zwischen dunklen Holztüren eine schmuddeligweiße Behördenuhr

Ein schlichter Zettel, der an der Eingangstür klebt, verrät, dass Öffentlichkeit in diesem Haus derzeit nicht gern gesehen wird: „Baustelle ‚Polizeihaus Am Wall‘. Unbefugten ist das Betreten verboten!!“. Gestern, zum „Welttag des Buchs“, durften die Bremerinnen und Bremer dann aber doch rein, in den „späthistoristischen Bau mit Einflüssen aus dem Jugendstil“, wie Denkmalpfleger Peter Hahn den Stil des 1906-08 errichteten Gebäudes zu beschreiben versucht. Denn dieses Haus soll in Zukunft die Bremer Zentralbibliothek beherbergen. Bis spätestens 2004 / 2005 soll alles soweit sein zum Schmökern und Internetsurfen.

Noch braucht man für diese Vorstellung viel Phantasie: Steigt man die Treppenstufen hinauf in die höher gelegenen Stockwerke, sieht man von den Wänden abblätternde Farbe und entdeckt den unter PVC-Belag wieder zum Vorschein kommenden Terrazzo-Boden. Die Decken der weitläufigen Flure sind mit Jugendstilornamenten verziert, einige Fensterscheiben zum Innenhof sind zerbrochen. Aufgerissene blassgelbe Wände in allen Stockwerken, den Treppengeländern aus schmiedeeisernen Gittern und hölzernen Handläufen sieht man ihr Alter an. Auf den dunklen Holztüren zu den ehemaligen Polizeistuben stehen noch die Raumnummern. Dazwischen an der Wand: Eine die ganze Tristesse deutscher Behörden ausstrahlende schmuddeligweiße Wanduhr, vielleicht aus den sechziger Jahren. Es herrscht eine eigentümliche Atmosphäre auf den Gängen: eine Mischung aus historisierend herrschaftlicher Ausstrahlung und mühseliger Verwaltungsbehäbigkeit.

Hinter Zimmertür 66 geht es in die Tiefe: weder miefiges Büro noch respekteinflößendes Mahagonizimmer der oberen Beamtenetagen findet man hier. Statt dessen: frischen Wind, Sonne, Lärm. Man sieht direkt im Innenhof des mehrwinkligen Komplexes regen Baubetrieb für den künftigen Neubauteil der Bibliothek - inclusive meterhohem Atrium. Dafür mussten die alten Zellen, in denen die Polizei Bremens Bösewichte zur Reue bewegen wollte, verschwinden. Der neugierigen Besucherin ist kein Grusel-Blick mehr in die Verliese vergönnt. Wahrscheinlich ist es nicht schade drum.

Barbara Lison, der Stadtbibliothekschefin und „Hausherrin in spe“, ist klar, dass BremerInnen mit dem Gebäude eher unangenehme Erinnerungen verbinden. Sie will dem Haus einen „völlig neuen Touch“ geben. Zum Weltbuchtag verschwand die Baustelle im Erdgeschoss vorübergehend hinter einer Fotoausstellung. Bis zur Bibliothekseröffnung seien es noch viele Schritte, sagte Lison, aber nicht die Größe der Schritte, sondern die Erkennbarkeit der Richtung sei entscheidend, zitierte sie den SPD-Linken Erhard Eppler.

Ulrike Bendrat