die nette frau vom ordnungsamt
: Wie man beim Fahrradfahren auf dem Gehsteig Geld sparen kann

Neulich habe ich zehn Euro gespart. Ich bin einfach mit dem Fahrrad auf den Gehweg gefahren. Die Fußgängerampel war gerade grün. Es war ein Reflex. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich habe auf die grüne Ampeln ähnlich reagiert wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Auf dem Bürgersteig waren Fußgänger. Ich bin deshalb sehr langsam und vorsichtig gefahren. Ungefähr 2,3 Kilometer pro Stunde. Schlendergeschwindigkeit. Deshalb musste ich auch gar nicht wirklich bremsen, als plötzlich die Frau vor mir stand.

Sie war ziemlich klein, ein bisschen rund, hatte kurze Haare und eine Brille. Die Frau sagte: Na, Sie wissen ja, was jetzt kommt. Ich konnte sie hören, obwohl meine Ohren mit meinem MP3-Player verbunden waren. Es klang nicht erotisch. Sie hatte einen grauen Plastikquerstreifen auf dem blauen Anorak. Ich wusste nicht, was jetzt kommen sollte. Ich sah die Frau an. Sie nickte. Sie hatte im Gesamten eine sehr graue Anmutung.

Was sie dann sagte, weiß ich nicht mehr genau. Ich erinnere mich vor allem, dass „Ordnungsamt Mitte“ darin vorkam. Es klang auswendig gelernt, wie eine Stelle aus einem schlechten Schultheaterstück. Irgendwie heruntergeleiert. Ich könnte die fünf Euro bar bezahlen oder später überweisen, sagte die Frau. Dann zog sie einen Block aus ihrer Jacke.

Ich muss das vielleicht erklären. Ich habe einmal in Friedenau gewohnt, da wäre ich nie auf die Idee gekommen, auf dem Gehweg Fahrrad zu fahren, nicht einmal in Schlendergeschwindigkeit. In Friedenau war das einfach nicht üblich. Ich habe damals einen Artikel in einer Frankfurter Zeitung gelesen, deren Kulturjournalisten in Berlin sitzen. Den Artikel hatte der Hauptkulturjournalist dieser Zeitung geschrieben. Er handelte davon, dass auf den Gehwegen im Prenzlauer Berg täglich viele Menschen von Geisterfahrradfahrern umgefahren werden, sodass sie sich die Beine brechen und ihnen Zähne dabei ausfallen. Ein Autobahnkreuz schien eine Kindergartenspielecke im Vergleich zu diesen illegalen Gehwegrennstrecken mit ihren Fußgängeropfern.

Der Hauptkulturjournalist kam mir wie eine ziemliche Memme vor, wie er da so rumheulte. Irgendwann bin ich aus familiären Gründen in den Prenzlauer Berg gezogen. Als mir auf dem Fahrradweg ständig Geisterfahrer entgegenkamen, wich ich immer öfter auf den Gehweg aus und wurde bald selbst zum Geisterfahrer. Es ging manchmal einfach schneller. Der Hauptkulturjournalist dieser Frankfurter Zeitung hatte also völlig Recht gehabt – von den Beinen und Zähnen einmal abgesehen. Nach wenigen Wochen war ich kulturell vollständig assimiliert. Ich fuhr nur noch Gehweg oder Fahrradweg falschrum. Die Verhältnisse waren einfach so.

Das alles habe ich der Frau vom Ordnungsamt Mitte nicht erzählt. Ich habe nur für einen wirklich ganz kurzen Moment darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn ich davonfahre. Aber hinter ihr stand noch eine andere Kontrolleurin mit einer Fahrradfahrerin. Der Fluchtweg war verstellt.

Die Frau vom Ordnungsamt Mitte sagte, dass sie eigentlich 15 Euro verlangen müsste, wegen der Kopfhörer. Eine wirklich nette Geste. So habe ich also zehn Euro gespart. Man muss es sich in Zeiten der Krise auch einmal leisten dürfen, die Dinge positiv zu sehen. JOHANNES GERNERT