„Präsident Aristide hat uns immer reingelegt“

Der haitianische Oppositionspolitiker Gérard Pierre-Charles lehnt Verhandlungen mit Präsident Aristide ab

taz: Etliche Städte Haitis sind in Händen bewaffneter Gruppen, die Präsident Jean-Bertrand Aristide stürzen wollen. Ist die Revolutionäre Widerstandsfront der bewaffnete Arm der Opposition?

Gérard Pierre-Charles: Nein. Mit der Front de Résistance Révolutionaire de l'Artibonite (FRRA) haben wir nichts zu tun. Aristide ist jetzt mit den Früchten seiner Saat konfrontiert. Die ehemalige Kannibalenarmee waren seine Anhänger. Die Waffen, die sie heute besitzen, haben sie von Aristide erhalten.

Trotzdem eint sie die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt von Aristide.

Die Demokratische Konvergenz lehnt Gewalt prinzipiell ab. Aristide muss sofort zurücktreten. Das ist eine Grundvoraussetzung für einen demokratischen Wandel Haitis. Das haben alle Gruppen der Demokratischen Plattform in einer gemeinsamen Erklärung festgeschrieben.

Ministerpräsident Yves Neptune hat die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen aufgefordert. Begrüßen Sie eine internationale Friedenstruppe?

Ich bin strikt gegen eine militärische Intervention. Sie hätte katastrophale Auswirkungen auf Haiti. Man sollte das Erinnerungsvermögen von Haitis Bevölkerung nicht missachten. 1995 ist Aristide nur mit Militärhilfe der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zurückgekehrt. Ausländisches Eingreifen macht die komplizierte Situation noch schwieriger. Die internationale Gemeinschaft hat sich über Jahre nicht um unser Land gekümmert. Jetzt müssen wir einen eigenen Ausweg suchen.

Wo sehen Sie einen Ausweg?

Die Verfassung sieht die Einsetzung des Präsidenten des Obersten Verfassungsgerichts als Interimspräsident vor. Dann soll ein neuer Premierminister im Einverständnis mit allen politischen Kräften berufen werden. Ein Rat der Weisen aus neun Beratern soll sowohl dem Regierungschef als auch dem provisorischen Staatspräsidenten mit seiner Sachkenntnis zur Seite stehen. Die Amtsperiode des Parlaments lief bereits Mitte Januar ab. In 18 Monaten sollen dann Neuwahlen stattfinden.

Sind Sie bereit ein Regierungsamt zu übernehmen?

Das interessiert mich nicht. Aber wenn es notwendig ist, eine Rolle beim Übergang zur Demokratie zu spielen, dann werde ich mich dem nicht entziehen.

Aristide sagt, dass er erst nach Ablauf seiner Amtszeit seinen Regierungssitz verlassen werde. Werden Sie sich mit ihm an einen Tisch setzen, um einen friedlichen Übergang auszuhandeln?

Es hat 23 Verhandlungen unter Aufsicht der OAS gegeben. Wir haben versucht, eine Einigung zu erzielen, aber Aristide war nie willens, auch nur etwas nachzugeben. Er hatte genügend Zeit seit den Wahlfälschungen 2000. Er hatte alle Macht, eine Änderung zu initiieren. Während wir verhandelten, hat er unsere Parteilokale anzünden lassen. Aristide hat Versprechungen gemacht, die er nicht eingehalten hat. Er hat uns, die OAS und die USA immer reingelegt. Seine Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung ist geschwunden. Aber auch wir Oppositionsparteien haben an Glaubwürdigkeit verloren, weil wir mit ihm verhandelt haben. Anfang Dezember war das Fass übergelaufen. Die Studenten haben rebelliert, und er hat mit brutaler Gewalt geantwortet.

Die internationale Gemeinschaft fordert Gespräche zwischen Opposition und Regierung.

Die alternativen Vorschläge zur Lösung der Krise in Haiti sowohl der haitianischen Bischofskonferenz als auch der internationalen Gemeinschaft sind ein Witz. Sie versuchen nur formalistisch die Präsenz von Aristide bis zum Ende seiner Amtszeit zu wahren.

Einst war Aristide nach Jahrzehnten Duvalier-Diktatur und Militärherrschaft Hoffnungsträger vieler HaitianerInnen. Warum hat er sich geändert?

Inzwischen glaube ich, dass er ein geschickter Täuscher war, durchtrieben und arglistig. Mal spielte er den Priester, dann war er Verfechter der Befreiungstheologie. Er ist ein Demagoge, der die Menschen für sich einnimmt und verzaubert. Die ihn unterstützten, wurden betrogen, und die an ihn glaubten, haben ihn nie wirklich gekannt. Aristide ist ein Populist, ein Magier, ein Mann des 19. Jahrhunderts, archaisch. Jemand, der denkt, dass Politik machiavellistisch ist, auf Lügen basiert und dass dazu Korruption gehört. Aristide gehört der Vergangenheit an.

INTERVIEW: H.-U. DILLMANN