Ausflug zur Sprachkompetenz

Ehrenamtliches Förderprojekt in Neukölln vermittelt Migrantenkindern im Vorschulalter bei Ausflügen Sprachkenntnisse. Initiatorinnen hoffen auf möglichst viele Nachahmer

Beim Stichwort Treppe kriegt Hakan immer noch ganz große Kulleraugen. „Treppe – ach ja, Treppe! Da sind wir ganz viele Treppen hochgelaufen, hinauf auf die Siegessäule“, erzählt der Sechsjährige und reckt seinen Lockenkopf ganz weit nach oben, als ob er den Überblick nochmal haben wollte. „Die ganze Stadt habe ich von dort gesehen, den Wald, den Fernsehturm und viele Autos.“ Hakan grinst und erzählt und erzählt. Selbst das schwierige Wort Siegessäule geht ihm erstaunlich leicht über die Lippen. Selbstverständlich ist das Sprachvermögen des griechischstämmigen Jungen, der muttersprachlich türkisch aufgewachsen ist, jedoch keineswegs. „Er gehört zu den besseren in der Vorschulklasse“, sagt Angelika Opolka, Vorschulerzieherin an der Neuköllner Kita „Hand in Hand – El ele“, die von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) getragen wird.

Damit es möglichst bald für alle Kinder selbstverständlich wird, gibt es dort seit September vergangenen Jahres ein besonderes Projekt: zwei Lehramtsstudentinnen des Instituts für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin mit Muttersprache Türkisch geben der Vorschulklasse deutschen Sprachunterricht. Zweimal die Woche zwei Stunden für sechzehn Kinder und fünf verschiedene Nationalitäten. Finanziert wird das ehrenamtliche Projekt durch Spenden des Inner Wheel Club Berlin Spree, ein Service-Club der Rotarier-Frauen. Gemeinsam mit der Migrations- und Integrationsbeauftragten Barbara John stellte der Club gestern das Projekt vor, in der Hoffnung, „möglichst viele Nachahmer zu finden“, so Elisabeth Böhm, Präsidentin von Inner Wheel.

Was genau die Siegessäule mit Sprachförderung in der Vorschule zu tun hat, ist eine Besonderheit des Projekts, die so nicht geplant war. „Zuerst haben wir Sprach- und Satzübungen in der Kita gemacht“, erzählt die Studentin Semiha Cinar. „Aber nach einer Stunde war die Konzentration weg.“ Deshalb haben die jungen Pädagoginnen ihren Ansatz geändert und setzen nun auf Ausflüge mit den Kindern. Nicht nur zu Sehenswürdigkeiten, auch ins Puppentheater oder in Bibliotheken. Ziel ist es, möglichst viel Deutsch mit den Kindern zu sprechen und die Kinder selber zum Sprechen zu motivieren. „Um die Sprache zu lernen, brauchen die Kinder gute Sprachvorbilder“, betonte Barbara John, die selbst als Dozentin für Deutsch als Zweitsprache gearbeitet hat. Auf die Sprachpraxis komme es an, Sprache müsse verbalisiert werden. Und nicht nur die deutsche Sprache. Auch durch das Sprechen der Muttersprache könnten Kinder sprachliche Kompetenz erwerben. „Und diese Kompetenz ist die Voraussetzung für soziale Fähigkeiten“, sagte John.

Seitdem die Stadt regelmäßig in Form der so genannten Bärenstark-Tests das Sprachvermögen der Vorschulkinder ermittelt, ist das Bewusstsein für sprachliche Förderung auch an der Kita „Hand in Hand – El ele“ im Brennpunkt Neukölln gestiegen. Erzählstunden, Musikerziehung mit gemeinsamem Singen und Bewegungsspiele mit sprachlichen Anforderungen sind im Fokus der Förderung. Mit Erfolg, wie die jüngste Bärenstark-Erhebung gezeigt hat. Mittlerweile liegen die Fähigkeiten der Kita-Kinder über dem Durchschnitt, im ersten Test lagen sie weit darunter. Für Jens Ahrens, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbandes Neukölln-Lichtenberg, ist dieser Erfolg auch Resultat einer „Verbindung von ehrenamtlichem Engagement und professioneller Arbeit. „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass der Staat alleine dafür zuständig ist“, sagte Ahrens. Die geplante Überführung von gut zwei Dritteln der Kitas in freie Trägerschaft biete eine Chance, mehr ehrenamtliche Projekte nach dem Neuköllner Modell durchzuführen. SUSANNE LANG