Rote Maschine verliert an Dampf

Real Madrid treibt im Viertelfinalrückspiel der Champions League neckische Spielchen mit Manchester United, verliert trotz der drei Tore von Ronaldo mit 3:4, gerät aber nie in Gefahr, den Sprung ins Halbfinale gegen Juventus Turin zu verpassen

aus ManchesterRAPHAEL HONIGSTEIN

Sir Alex Fergusons Lieblingsbuch heißt „What It Takes To Be Number 1“ – was man braucht, um Erster zu sein. Vince Lombardi, der erfolgreichste NFL-Coach aller Zeiten, beschreibt darin seine Philosophie: „Nur der Gewinner lebt. Wer verliert, stirbt jedesmal einen kleinen Tod.“

Von dieser existenzialistischen Doktrin war in dem Gesicht des United-Managers nach dem Ausscheiden seiner Elf gegen Real Madrid jedoch wenig zu sehen. Mit seinen verlässlich roten Bäckchen sah der Schotte putzmunter aus, ein kleines, zufriedenes Lächeln umspielte sogar seine Lippen. „Ein wunderbares Fußballspiel“, strahlte Sir Alex, „wir haben gezeigt, was wir können. Und wir hätten es schaffen können. Wir hatten viele Chancen, aber der Torwart hat mit Glück einiges gehalten.“ So konnte man das enorm unterhaltsame 4:3 aus United-Sicht zwar einordnen, aber natürlich war das nicht die ganze Wahrheit – nur die, die Ferguson in diesem Moment selber glauben wollte.

Dieser minderschwere Fall der Geschichtsfälschung wird nach einigen Tagen des Abstands wohl auch bei dem von sich selbst so überzeugten Direktor des „Theatre of Dreams“ der Einsicht weichen, dass United vom Einzug ins Halbfinale weitaus mehr trennte als jene zwei Tore, die seinen Männern am Ende dieses Spektakels fehlten. Als Ronaldo den ersten Angriff der Gäste mit einem trockenen Schuss am schlecht postierten Torhüter Barthez vorbei abschloss (12.), war Uniteds Schicksal praktisch schon besiegelt. Der majestätischen Ballbehandlung und nahezu perfekten Raumaufteilung Reals hatten die „Red Devils“ nur Mut und Leidenschaft entgegenzusetzen. Doch diese Primärtugenden fielen in der ersten Halbzeit kaum ins Gewicht, weil ihnen der technisch überlegene Gegner frech den Ball vorenthielt. Dass sich trotz des beruhigenden Vorsprungs doch noch eine mitreißende Partie mit sieben Toren entwickelte, lag an dem unerschütterlichen Siegeswillen der Gastgeber, aber wohl noch mehr am Naturell dieser Real-Mannschaft.

Die Superstar-Truppe, von Gary Neville kürzlich zu den „Harlem Globetrotters des Fußballs“ gekürt, schien es unbewusst den Kollegen vom Basketball-Court nachmachen zu wollen: als echte Entertainer ließen sie den schon geschlagenen Gegner immer wieder herankommen, um für Spannung zu sorgen. In der zweiten Halbzeit verwandelte sich das Spiel in ein faszinierendes Feuerwerk des Offensivfußballs, aber der Unterschied an Klasse blieb jederzeit sichtbar.

Manchesters Erfolgsaussichten: nichts als Schall und Rauch. Real wollte nicht richtig verteidigen, United aber konnte es nicht. Selbst Ferguson schien das am Ende einzusehen: „Wir wünschen Real Madrid alles Gute“, sagte er, „aber gegen Juventus wird es schwer.“ Klar: Die Italiener haben, anders als United, auch nicht die schlechteste Abwehr aller Viertelfinalisten. Rio Ferdinand, der teuerste Verteidiger der Welt, war wie im Hinspiel überfordert. Sein Gegenspieler, der noch vor einigen Wochen arg kritisierte Ronaldo, machte aus drei Chancen drei Tore. „Es war seine Nacht“, lobte Vicente Del Bosque. Man hatte das bestimmte Gefühl, dass er im Notfall auch fünf gemacht hätte.

Schon im April 2000 war Madrid hier ins Halbfinale eingezogen, 2001 triumphierten die Bayern im Viertelfinale, im letzten Jahr Leverkusen. Vier Jahre, vier Enttäuschungen. Nun mehren sich in Manchester die Fragezeichen. Wird Ferguson die lange angekündigte Drohung wahrmachen und den Kader radikal umstrukturieren? Oder wird er doch wieder auf die umstrittene Politik der punktuellen Verstärkungen setzen? Van Nistelrooy ist ein fantastischer Stürmer, doch Barthez, Verón, Ferdinand und Blanc haben das Team seit dem Europacupsieg gegen Bayern 1999 keinen Schritt weiter gebracht. Del Bosque hatte vor dem Hinspiel den Nagel auf den Kopf getroffen: „United spielt seit Jahren das Gleiche.“

Die einst so Furcht erregende Red Machine arbeitet immer noch verlässlich genug, um jederzeit die Liga gewinnen zu können. Doch auf europäischem Terrain werden der Mangel an Innovationen und die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Motors – Roy Keane – zunehmend offensichtlich. Wie vor zwei Wochen fiel der Ire nur mit markigen Worten vor dem Spiel auf. Auch über ihn wird Ferguson intensiv nachdenken müssen, falls er verhindern will, dass das schwächelnde United-Imperium bald völlig auseinander bröckelt.