Ausflügler statt Getreide

Nach dem Vorbild Jahrhunderte alter Weserlastkähne aus Eichenholz gebaut und nach alten Stichen gezimmert, schippert ab Sonntag die „Lüder von Bentheim“ nach Vegesack

Bis in die 1830er Jahre zogen Menschen „von Hand“ die Lastkähne flussaufwärts

Ein bisschen unbequem sitzt es sich noch auf den Holzbänken, aber schön nah am Wasser, das schon mal über die Bordwand schwappt und spritzt, wenn die „Lüder von Bentheim“ auf der Weser Gegenverkehr bekommt und durch die Heckwellen bricht.

Dass es überhaupt Sitzbänke gibt, ist ein Fortschritt. Schließlich ist das Eichenholzschiff der Nachbau historischer Weserlastkähne. Die transportierten über Jahrhunderte hinweg bis zu 15 Tonnen Getreide landeinwärts und mussten sicherlich anderen Ansprüchen genügen, als denen, bier- oder apfelschorletrinkender Ausflügler, die sich aus Jux vom Martinianleger nach Vegesack oder über Wümme, Hamme und Ochtum schippern lassen.

Um für das 20 Meter lange und nur drei Meter 30 breite Schiff die Zulassung als „Fahrgastschiff“ zu bekommen, mussten die Bootsbauer mehrere Hürden nehmen, etwa das Schiff „unsinkbar“ zu machen, erklärt Thomas Hinzen von der Bremer Bootsbau Vegesack (BBV): „Wenn das Schiff voll Wasser läuft und wir hier alle bis zum Bauch im Wasser sitzen, darf das Schiff trotzdem nicht sinken“, sagt er. Eine echte Herausforderung muss die Schiffstoilette gewesen sein: Schließlich sollte so viel wie möglich am Schiff originalgetreu nachgebaut werden, andererseits wollte Hinzen auch noch „Platz für eine ganze Busladung“ behalten. So haben die Bootsbauer einen schwarzen Kasten entwickelt, der halb über Deck ragt. Bei Bedürfnis fährt der Schiffsführer die Kiste hydraulisch hoch und schon ist das Klo einsatzbereit.

Tuckern heute zwei kräftige Dieselmotoren unter Deck und transportieren Ausflügler mit etwa viereinhalb Knoten weserab- und aufwärts, lässt sich kaum noch erahnen, mit wie viel Mühsal arme Treidler die originalen Weserlastkähne „von Hand“ den Fluss hinauf zogen. Einzige Unterstützung war eine Art Hilfssegel, das zum Einsatz kam, wenn der Kahn Rückenwind hatte. Als um die 1830er Jahre Treidler auf die Idee kamen, Pferde an Menschenstelle einzusetzen, gab es zwar einen Aufstand – der langfristig aber den Einsatz von Pferdestärken nicht verhindern konnte.

Knapp fünf Monate lang haben acht Schiffbauer in einer Weiterqualifizierungsmaßnahme den Rumpf der „Lüder von Bentheim“ auf dem Teerhof im „Schaufenster Bootsbau“ nach alten Stichen und Ansichten gebaut. Bis die Technik auf der Werft montiert war, vergingen weitere sieben Monate. Gekostet hat das ganze Projekt rund 50.000 Euro, finanziert vom Wirtschaftssenator, schließlich könnte die „Lüder von Bentheim“ den Tourismus ankurbeln.

Der älteste Vorfahr dieser Rekonstruktion ist nachweisbar 1.200 Jahre alt und trägt den Namen „Karl Kahn“. Laut Thomas Hinzen haben sich die Lastkähne bis ins 19. Jahrhundert in Aussehen und Nutzung kaum geändert. Die Fragmente des ältesten Kahns, die bei einer Baustelle an der Martinistraße, Ecke Wachtstraße gefunden wurden, liegen heute im Bremerhavener Deutschen Schifffahrtsmuseum, direkt neben der Hansekogge aus dem 12. Jahrhundert.

Der Name des Nachbaus, „Lüder von Bentheim“, erinnert an einen niederländischen Steinmetz, der an der Gestaltung des Bremer Rathauses beteiligt gewesen sein soll. Der Sandstein dafür kam auf Lastkähnen aus der Oberweserregion.

Ulrike Bendrat

Erste Ausflüge ab Sonntag, 27.4. Infos unter ☎ (0421) 50 50 37