Ausgestorbene leben länger

In der Krummhörn sind im Februar zwei Auerochsen-Kälber bei minus 12 Grad auf die Welt gekommen. Die Urviecher sind prima Landschaftsschützer weil sie Kiebitzen und Uferschnepfen die Brutplätze frei fressen

Im Februar sind zwei Kälber bei minus zwölf Grad auf die Welt gekommen

Eigentlich sind sie in Europa seit 1627 ausgestorben, die Auerochsen. Ausgerechnet ein Wildhüter soll damals das letzte Exemplar der ursprünglich aus Indien stammenden Vorfahren all unserer Milchgeber und Lieferanten von Rindernackensteaks in einem polnischen Wald niedergestreckt haben.

Radelt man heute durch die ostfriesische Krummhörn, einem Landstrich an der Emsmündung, staunt man nicht schlecht: Da stehen die schon in der Steinzeit von Menschen zwecks Verspeisung gejagten Auerochsen auf den Weiden und grasen friedlich vor sich hin. Ein Fall von wundersamer Auferstehung? Nicht ganz, die wolligen Huftiere mit ihren langen gebogenen Hörnen sind nachgezüchtet. Die sechs ausgewachsenen Ure, wie die Rinder auch genannt werden, leben sich seit Anfang Dezember auf einem 35 Hektar großen Wald- und Wiesen-Areal bei Großmidlum ein.

Harald Grönefeld vom Naturschutzbund (Nabu) in Ostfriesland erklärt, was sie da sollen: „Auerochsen helfen, Naturschutzflächen zu erhalten, indem sie Schilf und Binsen wegfressen.“ Ure seien besonders widerstandsfähig und könnten das ganze Jahr draußen leben, sagt er. Etwa Wiesenbrütern wie Kiebitzen oder Uferschnepfen bescherten sie einen frei gefressenen Lebensraum. Heutige Milchkühe könnten Vergleichbares nicht leisten: Das Futter wäre zu mager. Außerdem würden sie sich nicht „bis zum Pansen ins Wasser“ stellen und Röhrichtkolben abknabbern. Wie hart im Nehmen die meist friedlichen Grasfresser sind, zeigt die Geburt zweier Kälber im Februar, „bei ungefähr zwölf bis 15 Grad minus“, erinnert sich Grönefeld. Die Mütter hätten ihre kleinen Bullen versteckt, wie es Rehe mit ihren Kitzen tun und seien nur alle vier bis fünf Stunden zum Säugen zu ihnen gegangen, sagt der Nabu-Mann. „Das wussten wir vorher auch nicht und haben uns gewundert, als die Kälber aufeinmal verschwunden waren.“

Schon Mitte nächsten Jahres müssen die beiden Jungbullen aus der Herde raus, damit es keinen Inzest in der Herde gibt. Dafür steht das Krummhörner Projekt im Austausch mit einem Auerochsen-Nachzucht-Projekt an der Lippe und mit einem in Thüringen. Ansonsten wollen die Naturschützer so wenig wie möglich in das Herdenleben eingreifen. „Die sollen so wild wie möglich bleiben“, sagt Landschaftspfleger Grönefeld. Wachse die Gruppe auf über 25 Tiere, bestehe die Gefahr der Überweidung, dann würde ein Eingreifen unvermeidlich.

Angefangen mit der „Rückzüchtung“ von Auerochsen haben die Brüder Heinz und Lutz Heck in den dreißiger Jahren in den Zoos von München und Berlin. Dank 16.000 Jahre alter Malereien in der südfranzösischen Höhle von Lascaux und dank Knochenfunden – die ältesten europäischen sind etwa 250.000 Jahre alt – konnte man Aussehen und Körperbau der Tiere rekonstruieren. Heute werden die Bullen wieder an die einen Meter achtzig groß, bis zu einer Tonne schwer, haben ein schwarzes Fell und den charakteristischen hellen „Aalstrich“, eine Linie entlang dem Rückgrat. Die Kühe sind kleiner, etwa einen Meter fünfzig und bleiben leichter, ihr Fell geht ins Rotbraun. Ab Mai bietet der Nabu die Chance, die heutigen Nachfahren per Exkursion zu bestaunen. Ulrike Bendrat

Nabu-Exkursion ☎ (04942) 99 01 49