„Kriminelles Volksheim“

Schweden ist Krimiland. Das Autorenpaar Maj Sjöwall/Per Wahlöö hat das Genre sozialkritisch besetzt und damit die Volksheim-Gesellschaft mit geprägt. Dennoch ist Teil 1 der ZDF-Reihe „Kommissar Beck“ (So., 22.00 Uhr) ein Actionfilm

von JAN FREITAG

Schweden ist schön. Ein Land mit tollen Landschaften, netten Menschen, großem Wohlstand – und viel krimineller Energie. Wie sonst ist zu erklären, dass dort gut 50 erfolgreiche Schriftsteller über Gangster und ihre Jäger schreiben. Vielleicht noch mit dem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis der Bewohner oder einer Betulichkeit, die nach fiktivem Thrill lechzt. Doch Maj Sjöwall nennt den wahren Grund der Autorenschwemme: „Sie haben gesehen, dass man damit reich werden kann.“

Die Pionierin des Krimis made in Sweden und ihr verstorbener Mann Per Wahlöö sind neben Henning Mankell die derzeit populärsten Krimiautoren Europas – was bei jährlich rund 60 neuen Titeln aus Schweden einiges bedeutet.

Grund genug fürs ZDF, acht Episoden von „Kommissar Beck“ zu ordern. Schon die literarischen Vorlagen des Stockholmer Morddezernatsleiters fanden Abnehmer in 27 Ländern. Die Werke des Autorenduos, rechtfertigt das Zweite den kostspieligen Ankauf, seien ein „absolutes Muss für jeden Krimiliebhaber“.

Und für jeden Soziologen. Denn Sjöwall/Wahlöö haben nicht nur ihre Sparte, sondern die Gesellschaft verändert. Als Martin Beck 1965 seinen ersten Fall löste, schien es im „Volksheim“ nur gute Menschen mit guten Absichten zu geben. Korruption, Dienstvergehen, Ermittlungspannen? Das war Chicago, nicht Stockholm. Dann stocherten Sjöwall und Wahlöö tief in den Abgründen der sozialdemokratischen Konsensgesellschaft. Bis dahin, sagt Beck-Darsteller Peter Haber, „gab es bei uns keine bösen Polizisten“. Schweden galt als Musterstaat.

38 Jahre, neun Romane und Epigonen wie Mankells Kommissar Wallander später zeigt sich, was der zermürbende Dienst aus fiktiven Chefermittlern im gar nicht so sauberen Wasaland macht: depressive, beziehungsgestörte Einzelgänger. Diesen Typus stellt keiner glaubwürdiger dar als der nationale Superstar Peter Haber. Selbst beim lockeren Gespräch im Hamburger Nobelhotel Atlantik wirkt der Schauspieler ernst, kaut seinen Snus und bleibt auch bei eigenen Scherzen regungslos. Die Idealbesetzung für den aufrechten Beck, der es im Pilotfilm „Preis der Rache“ mit Polizistenmord, brutalen Kollegen und Sprengstoffanschlägen zu tun hat.

Nur – bei aller Spannung gerät das sozialkritische Potenzial der Buchreihe ins Hintertreffen. „Die erste Folge ist schon ein Actionfilm“, sagt auch Haber und gelobt für die nächste Besserung – Täter in Opferrollen inklusive. Doch die krachige Story erklärt sich auch aus der Stimmung daheim: Der Mord an Olof Palme, spektakuläre Verbrechen Mitte der 90er, die Göteborger Gipfeleskalation vor zwei Jahren nahmen der Bevölkerung schrittweise ihr Geborgenheitsgefühl, das seit dem bürgerlichen Regierungsintermezzo 1991 ohnehin schwindet.

So wurden die Romane in die Gegenwart transponiert. Hartes Durchgreifen der Polizei gehört da längst zum Alltag. Da wundert es niemanden, wenn Becks Partner Larsson Geständnisse herausprügelt und ein Plädoyer für die Todesstrafe unwidersprochen bleibt. Schweden ist zwar schön, aber doch ein Land wie viele andere.