Derbe komisch

Walking Bass und Synkopierung: Reinhard Keisers Barock-Oper „Der lächerliche Prinz Jodelet“ überzeugte an der Hamburger Staatsoper

Die Rote Flora mit dem Graffito „Die Gunst dem Pöbel“ beherrscht den ersten Akt

von Eberhard Spohd

Das hätte sich niemand träumen lassen, dass die Rote Flora eines Tages zu hoch kulturellen Ehren kommen würde. Nicht dass das ehemalige Theater im Hamburger Schanzenviertel als Spielstätte ausgewählt wurde. Die historizistische Fassade dient als Bühnenbild im ersten Akt der Oper Der lächerliche Prinz Jodelet von Reinhard Keiser, die am Sonntag in Hamburg Premiere feierte.

Das ist durchaus konsequent, handelt es sich doch um ein barockes Werk, das 1726 erstmals in Hamburg an der Gänsemarkt-Oper aufgeführt wurde. Als erste deutsche Bürgeroper war man dort auf auf die Eintrittsgelder des Publikums angewiesen und folgte dessen Geschmack. Anspielungen auf das aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehen wurden ebenso in die Inszenierungen eingebaut wie dialektale Färbung in die Libretti.

Dieses Konzept versucht auch Regisseur Uwe Eric Laufenberg in seiner Version der Verwechslungskomödie umzusetzen. Er bedient sich der wunderbar barocken, derb-komischen Textfassung von Johann Philipp Prätorius. Da wird in den Rezitativen geschnackt, und als der König fragt, wie Jodelet denn alle mit seinem „Kleide konnt‘ betrügen“, antwortet ihm Prinz Federich: „Ich ließ es in der Schanze liegen.“

Aber auch in der Besetzung und der Ausstattung wird mit Anspielungen gearbeitet. Unter den Staatsbeamten des Königs ist ein bebrillter Mann mit Seitenscheitel, der dem SPD-Kandidaten Thomas Mirow verteufelt ähnlich sieht. Ein Bild des Königs wird auf die Bühne getragen, das stark an Bürgermeister Ole von Beust erinnert. Und nicht zuletzt die Frau mit den hochgesteckten Haaren, die am Ende auf die Bühne kommt und stapelweise Uwe Timms Entdeckung der Currywurst verteilt – die Novelle mithin, die in Dana Horákovás Aktion „Eine Stadt liest ein Buch“ vergangenes Jahr in den Mittelpunkt gestellt wurde.

Auch das Bühnenbild von Kaspar Glarner setzt auf Wiedererkennungseffekte: Die Rote Flora mit dem Original-Graffito „Die Gunst dem Pöbel“ beherrscht den ersten Akt, das nachgebaute Foyer der Staatsoper selbst den letzten. Zwischen diesen Extremen verläuft auch die Handlung dieser typischen Barock-Oper. Jodelet, ausstaffiert als Handwerksgeselle, findet die Kleider von Prinz Federich von Sizilien und zieht sie an. Er weiß natürlich nicht, dass Federich wegen Mordes gesucht wird, weil er bei einem Turnier einen Nebenbuhler um die Prinzessin Laura von Neapel getötet hat. Folgerichtig wird Jodelet verhaftet. Als Kronprinz erhält er jedoch günstige Haftbedingungen und darf reichlich futtern, saufen und Frauen angraben. Es folgen jede Menge der genreüblichen Verwicklungen mit den opernüblichen Übersexualisierungen, am Ende wird verziehen: Federich bekommt Laura, und Jodelet steht auf der Straße und verkauft wieder das Obdachlosen-Magazin Hinz und Kunzt.

Auch musikalisch blieb der Dirigent Alessandro De Marchi auf der populären Ebene. Er verzichtete auf ein Barock-Ensemble, Gambe, Laute, Diskant-Horn und Cembalo mussten ausreichen, ein historisches Klangbild zu erzeugen. Was natürlich die Kritiker auf den Plan rief: So könne man Keiser auch kaputtspielen, kamen die erwartbaren Zwischenrufe der Traditionalisten im Publikum. De Marchi setzte jedoch mehr auf den Schwung der Musik, auf den Walking Bass der Continuo-Gruppe, auf die Synkopierungen der Koloraturen. Ganz wie er im Vorfeld schon angekündigt hatte: „Der Kapellmeister-Job zu der Zeit war eher der eines Bandleaders.“

Die Sängerinnen und Sänger gingen diesen Weg mit, allen voran der stimmlich wie schauspielerisch großartige Jan Buchwald in der Titelrolle. Aber auch Anke Herrmann als Kammerzofe Erminde und Julia Sukmanova als Isabella meisterten die schwierige Partitur nahezu mühelos, obwohl einige ihrer Koloraturen an der Grenze des Singbaren lagen. Wobei diese Auswahl nicht die Leistung der anderen Sänger schmälern soll. Bei rund 35 Arien in dreieinhalb Stunden hatte jeder der Mitwirkenden irgendwann seinen großen Auftritt.

Auch wenn einige der Regieeinfälle rätselhaft blieben – warum taucht Federichs Bruder als Scheich auf und seine Schergen als Palästinenser? – andere wiederum relativ platt wirkten – eine Video-Installation mit Haien zeigt, dass die Gesellschaft ein Haifischbecken ist –, gab es am Ende großen Applaus für den Jodelet. Den hat die Inszenierung verdient, für ihre mutige musikalische Umsetzung und den Spaß, den sie macht.

26.2., 1., 3., 5., 7., 10., 12. + 19. 3., 19.00 Uhr, Hamburgische Staatsoper