Zwischen Event und ästhetischer Bildung

Am 29. Februar wählt Hamburg. Über die wichtigsten Themen lässt die taz Experten mit Politikern debattieren. Heute im Streitgespräch über Kulturpolitik: Ulrich Khuon, Intendant des Thalia-Theaters, und Martin Woestmeyer (FDP)

„Verstörendes bringt nicht automatisch volle Häuser. Dies ist ein mühevoller Weg“: Ulrich Khuon„Wir wollen dieses Großereignis, um auf die Stadt neugierig zu machen“: Martin Woestmeyer

Moderation: Petra Schellen
und Eberhard Spohd

taz: Die Kulturpolitik der letzten Jahre basierte im Wesentlichen auf Kürzungen, dem Gegeneinander-Ausspielen von Institutionen und der Schwächung vermeintlich lobbyloser Segmente wie der Geschichtswerkstätten. Was soll künftig an die Stelle dieser gescheiterten Politik treten?

Martin Woestmeyer: Sie ist nicht gescheitert. Denn faktisch hat es einen Nettozuwachs des Kulturetats gegeben – auch, wenn man die Umsetzung der Filmförderung von der Wirtschafts- in die Kulturbehörde herausrechnet. Und für die Staatstheater haben wir die Tarifsteigerungen übernommen.

taz: Herr Khuon, ist die Hamburger Kulturlandschaft gut ausgestattet?

Ulrich Khuon: Die Ausstattung ist gleich geblieben. Vorher gab‘s kleine Schrumpfungen, jetzt gibt‘s kleine Zuwächse. Trotzdem sind die Bewegungen so minimal, dass die Finanzsituation auf sehr reduziertem Niveau verlässlich ist. Das ist einerseits hilfreich. Andererseits müssen sich die Kulturschaffenden mit dieser Kargheit anfreunden, und das ist für einige Bereiche wie die Geschichtswerkstätten fast tödlich. Für das Thalia Theater, das mit 20 Prozent weniger Geld auskommen muss als vor zehn Jahren, heißt das, dass wir viele strukturelle Veränderungen vornehmen mussten.

taz: Die Erwartungen der Politiker an die Theater sind widersprüchlich. Einerseits wird ein junges Publikum gefordert, andererseits Experimentator Tom Stromberg abgestraft.

Woestmeyer: Von den Staatstheatern erwarte ich, dass sie Diskurse führen, dass sie gesellschaftliche Strömungen darstellen. Und die Ergebnisse dessen möchte ich in der praktischen Politik wiederfinden, und zwar von der Sozial- bis zur Gesundheitspolitik.

Khuon: Und genau da herrscht ja die größte Differenz, die hauptsächlich der Ära Schill zuzuschreiben ist: Die derzeitige Diskussion etwa über Strafe und Jugendkriminalität bewegt sich teilweise auf Stammtischniveau. Und da muss man sich wirklich fragen, ob man in ein Vergeltungsdenken zurückfallen will, oder ob man auf der zivilisatorischen Errungenschaft besteht zu sagen: Strafe ist nicht Rache, sondern Strafe ist Schutz – des Einzelnen, der Gemeinschaft. Diese Differenzierung ist in Hamburg vorübergehend vergessen worden. Und hier muss auch Theater ansetzen. Es muss politischer werden. Das zweite Defizit in Hamburg ist ein Nicht-Bewusstsein für Kultur. Viel zitiertes Beispiel ist die Marketing-GmbH, bei der Kultur überhaupt nicht vorkommt – bis jetzt. Und wenn man von der wachsenden Stadt spricht, die Kultur aber vergisst, ist das eine mir absolut rätselhafte Gedankenlosigkeit.

Woestmeyer: Politik ist aufgerufen, den Rahmen für künstlerische Freiräume zu schaffen, und hierfür eignet sich hervorragend die Hafen-City. Hier hat man die Chance, von vorn anzufangen und Kultur zu implantieren – nicht nur durch eine Philharmonie, sondern auch durch von unten wachsende Kultur. Die Einladung dazu muss von der Politik kommen. Wir wollen keine Fehler wiederholen: Bei Frau Horáková hatte man den Eindruck, sie hat Angst vor der Kulturszene. Die wiederum hat stur gesagt: Eine Regierung, an der Herr Schill beteiligt ist, können wir uns nicht vorstellen.

Khuon: Die können wir uns auch nach wie vor nicht vorstellen! Trotzdem arbeitet man zusammen. Ich arbeite mit Frau Horáková ernsthaft und seriös zusammen. Und was die Hafen-City betrifft, so ist das für mich schwer lösbar, weil sich dieses Großprojekt ja rechnen muss. Ich weiß nicht, wie da Kultur hineinwachsen soll.

taz: Unter dem Stiftungsmodell leiden die Museen inzwischen erheblich, weil der Druck, hohe Anteile zu erwirtschaften, eine atemlose Folge von Ausstellungen und Events erzeugt. Ist das Modell gescheitert?

Woestmeyer: Das Stiftungsmodell ist nicht gescheitert, denn es erlaubt eigenverantwortliches Wirtschaften. Und um zahlendes Publikum anzuziehen, werden natürlich attraktive Veranstaltungen gebraucht, die die klassischen Museumsaufgaben – das Sammeln und Bewahren – mit finanzieren.

taz: Warum eigentlich misst die Politik die Qualität von Kultur zwanghaft anhand von Zahlen?

Woestmeyer: Von dieser Diskussion wollen wir ja gerade wegkommen. Der Rahmen muss stimmen, und der besteht natürlich aus Zahlen. Aber Zahlen beschreiben eben nicht die Inhalte. Trotzdem muss natürlich der Publikumszuspruch bei Museen und Theatern stimmen. Denn auch Avantgarde kann vor leeren Rängen nicht funktionieren.

Khuon: Was sie formulieren, ist geradezu klassisch: Politiker fordern meist ein innovatives, verstörendes Theater, das außerdem volle Häuser bringt. Das sind aber Dinge, die in einem gewissen Widerspruch zueinander stehen. Verstörendes bringt nun mal nicht automatisch volle Häuser. Dies ist ein komplizierter und mühevoller Weg, den man aber gemeinsam gehen könnte.

taz: Den Kontrast zu dieser Kärrnerarbeit bilden die jüngst gehäuft in die Stadt geholten Events wie die Bambi-Verleihung oder Aida in der Color Line Arena. Ist das nötig, um Hamburgs Image aufzupolieren? Sollte man das Profil nicht eher über Nachhaltigkeit schärfen?

Woestmeyer: Aida in der Color Line Arena ist eine private Veranstaltung. Bei der Bambi-Verleihung dagegen hat die Politik gesagt: Wir wollen dieses Großereignis herholen, weil man Teaser braucht, um auf eine Stadt neugierig zu machen. Auch die Museen und Theater brauchen diesen Anreiz – sei es die Klee-Ausstellung, sei es ein Schauspieler, den man aus dem Fernsehen kennt.

Khuon: Sie sprechen jetzt ununterbrochen über den Besucher, was ja auch verständlich ist. Aber jenseits des Besuchers hat zum Beispiel das Museum noch die Aufgaben des Forschens und des Sammelns. Und über dieses Sammeln kommt natürlich erst mal kein Besucher. Das Forschen ist noch weniger kurzfristig verwertbar. Und hier liegt eine gemeinsame Aufgabe von Kultur und Politik, der Öffentlichkeit klar zu machen, dass sich nicht alles innerhalb von fünf Sekunden wirksam umsetzen muss.

Woestmeyer: Da rennen Sie offene Türen ein. Der Senat hat doch gerade das Projekt Metropole des Wissens beschlossen ...

Khuon: ... die meinen das aber anders! Die meinen Wissen als evaluierbaren Faktor nach dem Motto: Wenn ich was weiß, bin ich besser, bin ich schneller in diesen Fortschritts-Technologien. Das ist, glaube ich, die generelle Ausrichtung derzeit: weg von den Geisteswissenschaften, hin zum evaluierbaren Wissen. Wissen wäre ja auch in Ordnung, wenn damit nicht gleichzeitig anderes auf die B-Ebene geschoben würde: die ästhetische Bildung. Was wir dann bekommen sind Informationsathleten und Sinnlichkeitswracks.