berliner szenen Bus Blues Berlin

Auf dem Sensor

Die Busfahrer, die seit etwa zehn Jahren erfolgreich gegen ihren Ruf als Vorzeige-Schnodder-Berliner angekämpft haben, fallen seit neuestem in alte Gewohnheiten zurück. Vor einer Woche in der Yorckstraße schreckte mich der Fahrer eines etwas überfüllten Busses auf: „Ja, logisch, Mann! Bleimse ruhig stehen. Ick hab ja Zeit“, nölte er durch seinen Bordfunk. Die Fahrgäste schauten einander irritiert an. Wen von uns mochte er meinen?

„Keen Problem. Nee, is wirklich keen Problem! Wir könn ja ruhig alle hier drinne noch ’n bisschen Frischluft jebrauchn.“ Seine Stimme schien Sarkasmus suggerieren zu wollen. Frischluft? Es war ja ein ziemlich kalter Februartag. Wir waren uns nur noch nicht sicher, auf wen sich seine Durchsage bezog. „Wennse immer noch nich jenuch Frischluft ham, könn wa ooch die Fensta kaputthaun!“ Die Irritation in den Gesichtern einiger Fahrgäste begann, einer latenten Angst zu weichen: War der Fahrer noch bei Sinnen? Warum fuhr er nicht ab?

„Eeh, samma, so blöde kann man doch wohl jar nich sein! Du stehst uffn Sensor.“ Aha, das war immerhin nicht mehr sarkastisch, sondern eine konkrete Ansage. Nur auf wen bezog sie sich? Einige von uns hoben unauffällig einen Fuß hoch, um nachzusehen, ob sie einen Sensor kaputtgetreten hatten. Ich auch. Sollte „Du stehst auf dem Sensor“ so etwas Ähnliches heißen wie „Du hast Tomaten auf den Augen?“. Es vergingen weitere zweieinhalb Minuten mit ähnlichen Durchsagen, bis wir verstanden, dass sich einer von uns in den sensorisch sensiblen Bereich der hinteren Tür gewagt hatte. Ich werde nie verstehen, warum sich fünfzig erwachsene Menschen von einem einzigen Busfahrer so demütigen lassen, und noch schlimmer – warum ich einer von ihnen bin. DAN RICHTER