Der Traum vom Kaufhaus Kreuzberg

Aus und vorbei? Aus dem hochgelobten Multi-Kulti-Shoppingcenter ist bislang nichts als ein mühsamer Streit geworden. Statt Integration und Investition geht es nun um Fluchtwege, Aufgänge und Toilettenbaukosten. Gibt es einen Buhmann – oder ist das Scheitern für die Welt am Kotti einfach nur normal?

„Es macht natürlich keinen Spaß, mit Leuten am Tisch zu sitzen, die einen beschimpfen“ „Ich käme ins Gefäng- nis, wenn ich die größte freie Gewerbefläche nicht vermieten würde“

VON HANS W. KORFMANN

Manchmal kommen Touristen und stehen, den Reiseführer in der Hand, vor dem Halbkreis am Kottbusser Tor und suchen das „Kaufhaus Kreuzberg“: 50 Läden auf 1.200 Quadratmetern mit einem Café auf der Dachterrasse, ein alternatives Shoppingcenter, eine Mischung aus Flohmarkt, Basar und Einkaufszentrum, geplant inmitten einer brüchigen und schmucklosen Zementburg. Und ein Modell, das die Stadträte begeisterte und sogar die Berliner Banken zu einem deutlichen Nicken bewog: Immerhin 320.000 Euro Startkredit hätte die Investitionsbank Berlin der Initiative zugestanden, die sich um Richard Stein, den ehemaligen Betreiber des legendären SO 36, gebildet hat.

Also setzte man sich damals zusammen: Auf der einen Seite die Verwalter eines gigantischen Wohnblocks, der, belastet mit rund 50 Millionen Euro, im November endgültig vom staatlichen Finanztropf kommen soll, welcher ihn seit über 20 Jahren künstlich am Leben erhält. Auf der anderen Seite die vom Erfolg hinter grauen Fassaden verwöhnten Unternehmer aus der Oranienstraße, die bereit sind, in die dem Untergang geweihte Ruine zu investieren. Und alle jubelten: die Politiker, die Zeitungen, die Anwohner. Die Berlin Tourismus Marketing GmbH nahm die neue Attraktion vorsorglich schon einmal in ihrem Reiseführer auf.

Am 5. Juli des vergangenen Jahres sollte das „Kaufhaus Kreuzberg“ eröffnet werden. Doch die Türen blieben geschlossen. Bis heute. Was ist geschehen?

Richard Stein weiß gar nicht, wo er anfangen soll: Bei den zähen Verhandlungen mit dem Vermieter, der Zentrum Kreuzberg GmbH? Den moderaten Vorverträgen und den haarsträubenden Klauseln in den nachfolgenden schriftlichen Varianten? Der zuerst versprochenen und dann wieder entzogenen Nutzungsgenehmigung der Dachterrasse, die man auch den Vormietern der vergangenen drei Jahrzehnte immer zugestanden hatte? Oder am besten gleich bei dieser „grauen Eminenz“, die da im Hintergrund steht, und auf die Richard Stein immer wieder zu sprechen kommt. „Der schien ja einer von uns zu sein.“

Tatsächlich wäre vor zwei Jahren keiner auf die Idee gekommen, dass Peter Ackermann, der Selbsthilfegruppen und Bildungsprojekten leere Läden zur Verfügung stellte, der sagte: „Wir schulden den Menschen mehr als nur eine Wohnung“, und der von der Ausländerbeauftragten Barbara John im Sommer 2002 für sein Engagement im maroden Zementblock mit dem Integrationspreis „Miteinander leben – miteinander wohnen“ geehrt wurde, dass dieser Peter Ackermann einmal zum schwarzen Peter des Zentrums Kreuzberg werden könnte.

„Es herrschte ja eine regelrechte Aufbruchstimmung, als Ackermann auftrat“, erinnert sich Franz Schulz, Kreuzberger Baustadtrat der Grünen. Zwar bemerkte Die Zeit schon im Sommer 2001: „Wenn Ackermann … spricht, dann redet kein Sozialarbeiter, kein Sozialpolitiker, sondern ein Geschäftsmann“. Aber eben einer, der die Ärmel aufkremple und aufräume. „Ackermann hat so etwas Tatkräftiges, Entschiedenes. In seinen olivgrünen Arbeitshosen könnte er auf dem Weg zum Ernteeinsatz nach Nicaragua sein“, schrieb die Berliner Zeitung einige Monate später, und fügte hinzu: „Wenn man nicht wüsste, dass Ackermann eine Maisonette-Wohnung in Charlottenburg bewohnt, würden sie ihn glatt für einen alten Kreuzberger halten.“

So geisterte er zwei Jahre als Engel von Kreuzberg durch die Presse. Inzwischen aber haben den Retter der Zementburg alle guten Geister verlassen. Kaum einer schreibt noch über ihn. Und das alles wegen dieses Punk-Kaufhauses! Sogar die politischen Mitstreiter zweifelten allmählich an Ackermann: In einem offenen Brief vom 28. Juni 2003 forderten Barbara Oesterheld (Grüne) und Stefan Zackenfels (SPD) sowie Vera Vordenbäumen (PDS) Ackermann dazu auf, die Mietverhandlungen mit „sofortiger Wirkung wieder aufzunehmen“. Woraufhin sich der Rechtsanwalt Ackermann von seiner Kanzlei am Ku’damm aus empört an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, wandte: Die Wegbegleiter wurden ihm lästig.

Stefan Zackenfels äußerte in einer Mieterzeitschrift sogar den Verdacht, Ackermann könne heimlich eine Insolvenz anstreben. Denn „warum lieber leer lassen, als etwa an das Kaufhaus Kreuzberg vermieten? Weil sichtbar unvermietete Gewerberäume im Falle der Insolvenz billiger zu verkaufen sind?“ So denken inzwischen viele. „Ich vermute, dass dieses Kaufhaus nur die Spitze des Eisberges ist!“, sagt Zackenfels. Selbst Bausenator Peter Strieder (SPD), der sich 2000 noch lächelnd mit Peter Ackermann vor der neuen und „wegweisenden“ Stahltreppe fotografieren ließ, ist skeptisch geworden. Franz Schulz hat bereits den Landesrechnungshof eingeschaltet. Und auf einer Podiumsdiskussion im Dezember sickerte frühzeitig das Ergebnis einer noch unter Verschluss gehaltenen Studie durch, die Senat und Bezirk in Auftrag gegeben hatten. Aus ihr geht hervor, dass dem Schuldenberg von knapp 50 Millionen Euro ein Verkehrswert von höchstens 12 Millionen gegenübersteht. „Nur die Zuschüsse von zur Zeit 1,1 Millionen Euro aus dem Berliner Haushalt schützen die Betreiber vor sofortiger Insolvenz.“

Auf einer daraufhin stattfindenden Informationsveranstaltung wollte man Peter Ackermann die Frage stellen: „Obwohl seit 30 Jahren … Steuermillionen in erheblicher Höhe an die Betreibergesellschaft des Zentrums Kreuzberg überwiesen werden, sind die Schulden … heute höher als bei der Fertigstellung 1974. Haben Sie Erkenntnisse darüber, wo die Fördermillionen geblieben sind und wie die Verwendung geprüft worden ist?“ Doch der Peter Ackermann, der sein Kommen zugesagt hatte, antwortete nicht. Er weile gerade in der Schweiz.

„Ach, wissen Sie, es macht natürlich keinen Spaß, wenn man mit Leuten am Tisch sitzt, die einen pausenlos beschimpfen“, erklärt Ackermann später. „Aber wir haben eben die Aufgabe und Pflicht, das ZK bestmöglich zu vermieten.“ Und das tue man ja. Achtzig Prozent der gewerblichen Einheiten seien vermietet, sagt Ackermann.

Warum aber, fragen die Kritiker, vermietet er dann nicht diese 1.200 Quadratmeter an das Kaufhaus Kreuzberg? Zumal das ein Projekt ist, das den Standort aufwerten würde wie kein anderes in der Wüste Kotti. Weshalb das ja auch eine Sache ist, die ihm „unheimlich am Herzen liegt!“, sagt Peter Ackermann. „Sehen Sie: das Problem sind doch die notwendigen baulichen Maßnahmen! Wenn da nämlich 140 Leute herumspazieren, dann brauchen sie Fluchtwege, Aufgänge, Toiletten … Das kostet alles Geld, und Stein & Co wollen, dass wir zahlen. Das würden wir ja sogar machen. Wenn wir Geld hätten. Aber wir haben eben keines.“ Sagt Peter Ackermann.

Seine Schuld sei es jedenfalls nicht, wenn Stein und Co. schon zur Eröffnung blasen, obwohl es nicht einmal einen Mietvertrag gebe, und „den dritten Schritt vor dem zweiten tun“. Nur deshalb, so Ackermann, müssten die fünfzig Gewerbetreibenden so lange auf die Eröffnung ihres Kaufhauses warten. „Wissen Sie“, ergänzt Ackermann und hört sich ein bisschen so an wie der Bundeskanzler, „ich habe immer gesagt, dass sie die Räume für 7,50 Euro den Meter haben können. Vorausgesetzt, sie finanzieren die notwendigen Umbauten. Dazu stehe ich.“ Und dann setzt er hinzu: „Überlegen Sie doch mal: Ich würde doch wegen Untreue ins Gefängnis kommen, wenn ich die größte frei stehende Gewerbefläche nicht vermieten würde.“ Sagt Ackermann.Doch das wird nicht geschehen. Schließlich hat er Engagement bewiesen, hat sich mit den Quartiersmanagern an einen Tisch gesetzt, mit den Handwerkern, hat einen Kinderspielplatz eröffnet und eine Krippe für einkaufende Mütter eingerichtet. Und 140 Papierkörbe aufgestellt. Die ein kleiner, emsiger Rentner dann täglich leerte: Horst Wiessner, der unbezahlte Hausmeister. Wiessner war Ackermanns gute Fee. In der Berliner Zeitung hatte er noch bekannt, „Ackermanns größter Fan“ zu sein, und gesagt: „Ich sehe es als Verpflichtung, aus dem Haus was zu machen. Mit Herrn Ackermann kann ich etwas erreichen.“ Silvester 2000 standen sie gemeinsam auf der Terrasse im 11. Stock, genossen die fantastische Aussicht von Wiessners exorbitantem Dachgarten und schauten in eine gemeinsame Zukunft. Eineinhalb Jahre später sagte Ackermann: „Vielleicht werden wir alles in Eigentumswohnungen umwandeln. Und deine Wohnung wird die erste sein, die ich verkaufe!“

Jetzt hat die gute Fee den Engel verlassen. Wiessner sagt: „Ich bin noch nie von einem Menschen so enttäuscht worden.“ Und Horst Wiessner, dreiundachtzig Jahre alt, seit dreißig Jahren im Block zu Hause, einer, der „nie von hier weg“ wollte, fuhr zu seiner Tochter nach Brasilien. Drei Monate, „um herauszufinden, ob es dort nicht vielleicht doch schöner ist“. Aber er kam zurück. „Ich möchte zu gern wissen, was hinter dieser ganzen Geschichte steckt.“

Das möchten alle anderen auch. „Aber vielleicht“, sagt eine Frau aus dem Haus, die den 62-jährigen Ackermann „so charmant“ findet und das alles nicht glauben möchte, „steckt ja auch gar nichts dahinter. Da wird so viel geredet.“ Vielleicht ist Peter Ackermann gar nicht der schwarze Peter, sondern nur ein grauer, alternder Mann. Ein bisschen müde von den ewigen Streitereien. „Ach, wissen Sie“, sagt Ackermann, und hört sich diesmal ein bisschen an wie der Kanzler, der ein Schlusswort spricht, „dieser Zementblock ist ja auch ein Klotz am Bein. Verstehen Sie? Ich möchte ja auch bald in Rente gehen! Aber eine Aufgabe, die man anfängt, muss man eben auch zu Ende bringen. Vor allem“, fügt Ackermann dann noch hinzu, wieder ganz der Engel, und wenn die Rentnerin ihn hören würde, bekäme sie feuchte Augen, „wenn sich in diesem Haus ein so hoher Prozentsatz an jugendlichen Arbeitslosen befindet, die ja ein Zuhause brauchen.“