„Im Konsens gegen Kapitalismus“

Michael Kronewetter …

„Wo keine Gewalt, kein Infragestellen der herrschenden Staatsgewalt transportiert wird, gehen Proteste unter“

… ist der Lautsprecher am 1. Mai. Vor zwölf Jahren fuhr er aus Niederbayern erstmals zur revolutionären Demo nach Berlin. Hier wurde der Medizinstudent Sprecher der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB), die mit ihrem Konzept der „Pop-Antifa“, Trucks mit Love-Parade-Ausmaßen statt knarzender „Demo-Lautis“, zur tragenden Organisation der Proteste wurde. Der Verfassungs- schutz bescheinigte der AAB großes Mobilisierungspotenzial. Im Februar hat sie sich in „Kritik und Praxis“ und die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) gespalten, deren Sprecher Kronewetter heute ist. Sie rufen nun zu getrennten Mai-Demos.

Interview GEREON ASMUTH
und FELIX LEE

taz: Herr Kronewetter, wie wird man heutzutage eigentlich Revolutionär?

Michael Kronewetter: Einfach durch die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen, in denen man lebt – und dem Willen, daran grundsätzlich etwas zu ändern. Der Begriff ist allerdings ziemlich aufgeblasen.

Gehören Sie zu den Bayern, die laut Verfassungsschutzbericht die Antifaschistische Aktion Berlin gegründet haben?

Ich bin tatsächlich in Niederbayern groß geworden. Das geistige politische Klima dort hat mich schon früh zur Flucht über den Weißwurstäquator getrieben. Aber die Welt ist leider auch jenseits dieser Grenze nicht in Ordnung. Deshalb habe ich mich in Berlin dann gleich in der AAB organisiert.

Wann waren Sie zum ersten Mal bei einer Demonstration am 1. Mai?

1991 bin ich mit Freunden aus der Provinz nach Berlin gefahren.

Als Krawalltourist?

Nee, für uns war das die Demo, wo sich bundesweit radikale Positionen artikulieren.

Und wie war Ihr Eindruck?

Verglichen mit den Fernsehbildern war das echt zahm. Die Stimmung aber war schon so: Man hatte nicht das Gefühl, vereinzelt zu sein. Es gab eine Menge Leute, die ähnlich radikale Kritik üben und die das, was man dann zumindest auch als Revolution bezeichnen kann, propagieren.

Aber bis heute protestieren dort sehr viele Gruppen, teils sektiererisch, teils gegeneinander, teils auf getrennten Demonstrationen.

Zugegeben. Einige glauben da, ihre reine Lehre durchsetzen zu müssen. Das ist typisch für die linke Szene in Berlin. In kleineren Städten gibt es diese Grabenkämpfe seltener, weil die Leute aufeinander angewiesen sind. Wir als AAB und jetzt als ALB setzen auf einen ganz pragmatischen Konsens aus Gruppen, Leuten, Einzelpersonen, die Neoliberalismus oder Kapitalismus, also das System, das momentan die Welt überzieht, ablehnen, die wirklich versuchen, jenseits von Nation, Religion, Geschlecht irgendwie zusammenzukommen.

Geht dieser Konsens denn über Schlagwörter hinaus?

Nein, das wäre auch viel zu viel verlangt.

Nun streitet die Linke über den Israel-Palästina-Konflikt, der kaum stärker durch Nation und Religion geprägt sein könnte. Selbst bei der Spaltung der AAB spielte das eine Rolle.

Ich denke auch, dass da was grundsätzlich falsch läuft. Auch hier ist es einigen Gruppen viel wichtiger, sich selbst zu profilieren über eine besonders kritische Haltung vor allem gegenüber anderen Linken. Es ist teilweise recht kleingeistig. Ich kenne keine vernünftigen Linken, die Israel das Existenzrecht absprechen, die trotzdem aber natürlich eine Staatskritik haben. Aber jede Kritik am Nahostkonflikt als Antisemitismus zu bezeichnen, das ist absurd. Manche bereiten da schon ihren Abschied aus der Linken vor.

Was sind denn die politischen Ziele der ALB? Antifaschismus war Anfang der 90er-Jahre ein wichtiges Thema, über das man Jugend politisieren kann, um letztlich zur Kapitalismuskritik zu kommen, heißt es in Ihren Papieren. Das klingt nach Marketing.

Nein, Antifaschismus war nie die große Fassade, hinter der sich das eigentliche Anliegen versteckt. Das war oder ist für mich nicht zu trennen von einer fundamentalen Kritik an den herrschenden Verhältnissen.

Was heißt das konkret?

Mein Gott, da verlangen Sie ja, was man von Linken immer verlangt: eine Analyse der herrschenden Verhältnisse, die von Konkurrenzkampf geprägt sind, von Eigentumsverhältnissen, die Menschen dazu zwingen, nur noch ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Es ist doch so, dass zunehmend alle Bereiche einer profitorientierten Verwertungslogik untergeordnet werden. Und fundamentale Kritik heißt eben nicht, mehr Spielplätze zu fordern oder die Tobin-Steuer.

Anders gefragt: Die Aufrufe zum 1. Mai bringen eine ausführliche Kritik des bestehenden Systems, Globalisierung etc. Und die Antwort heißt schlicht: Da hilft nur die Revolution. Wo soll das hinführen?

Eine Gesellschaft jenseits von der, die wir hier haben, ist recht abstrakt. Das ist das Problem, was man als Linker hat. Man kann aber sehr wohl skizzieren, wo es hingehen soll: solidarisch, kein Konkurrenzkampf, Auflösung von Nationen. Es steht ja auch gar nicht an, jetzt konkret eine Revolution zu machen. Es gilt vielmehr, die Verhältnisse, die Verschärfungen zu analysieren und die Leute, die das erkannt haben oder davon betroffen sind, zu sammeln und einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen.

Die Revolution steht aktuell nicht an, dafür der 1. Mai. Der wird in der Öffentlichkeit fast ausschließlich als Krawallritual wahrgenommen. Wie wichtig ist Ihnen die Gewalt?

Die Frage suggeriert, Ziel der Demonstrationen wäre die Gewaltanwendung. Das ist ein ganz verdrehter Blick. Wenn es um Steine in Schaufenstern, um Auseinandersetzung mit der Polizei geht, fragen Medienvetreter stets hart nach. Aber über Gewalt im Krieg oder bei Abschiebungen wird nicht geredet. Das ärgert mich.

Aber kann man die eine Gewalt mit der anderen rechtfertigen?

Nein, aber ich frage mich, warum immer dort der Fokus ist.

Weil der 1. Mai einen Fokus auf Gewalt hat.

Richtig, das ist teilweise auch ein Gewaltspektakel, das aber gründlich mitinszeniert wird von den Medien. Wir als Organisatoren haben das Interesse, dass es möglichst wenig Verletzte gibt. Da kann man nicht wollen, dass es möglichst viel Gewalt gibt.

Innensenator Körting vermutet einen Denkwandel in der linken Szene, weil Randale den 1. Mai entpolitisiere.

Ich weiß nicht, ob das ein Wandel ist. Auf jeden Fall gibt es eine Diskussion über sinnvolle und sinnlose Militanz.

Was ist sinnvolle Militanz?

Das wird in der Linken diskutiert.

Was heißt das für Sie persönlich?

Konkret fängt das da an, wo es um die Verteidigung von Flüchtlingsheimen gegen programmierte Angriffe von Neonazis geht. Das halte ich für gerechtfertigt, und das hab ich auch mehrmals gemacht. Auch mit Formen der Militanz, die Abschiebung verhindern, habe ich überhaupt keine Probleme.

Und am 1. Mai?

Da müsste man sich jeden Einzelfall angucken. Es gab genug Situationen, in denen es auch Polizeiübergriffe gab.

Und andersrum? Was ist zum Beispiel mit den Steinwürfen der „erlebnisorientierten Jugendlichen“?

Viele machen das ganze Jahr über schlechte Erfahrungen mit der Polizei, die wird so zum Feindbild. Gerade Jugendliche, die hier als Migranten leben, müssen oft Demütigungen hinnehmen. Da kommt es, ohne dass da eine politische Analyse hintersteckt, zu Gewaltausbrüchen. Für mich sind das Reaktionen.

Wäre der 1. Mai aus Ihrer Sicht ohne Gewalt nicht langweilig?

Ich glaube tatsächlich, dass die Wahrnehmung der Demo gerade in den Medien ohne Krawalle sehr klein werden würde. Man muss nur auf die Globalisierungsproteste weltweit gucken. Wo nichts passiert, wo keine Gewalt, wo kein Infragestellen der herrschenden Staatsgewalt transportiert wird, gehen viele Proteste unter.

Und am 1. Mai gehen Inhalte unter?

Da kommt mir auch zu wenig rüber, aber daran müssen wir alle arbeiten.

An der Gewaltfrage arbeitet gerade die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS). Die hat am 1. Mai den Bezirk nicht nur umfassend mit Kulturveranstaltungen besetzt, sondern spielt auch mit linken Begriffen. Ein Konzert heißt „Reclaim 36“, sogar „Hass“ will sie mitbringen, als Filmtitel. Sie kopiert sogar das Pop-Konzept der AAB, Live-Musik am 1. Mai, um Ausschreitungen zu verhindern.

So cool wie unseren Truck wird sie das nicht hinkriegen. Unsere Mischung war immer: kulturelle Unbeschwertheit, verbunden mit einem politischen Kontext. Reinauer selbst finde ich eigentlich ganz sympathisch. Aber sie ist als PDS-Politikerin das Opfer des rot-roten Senats, der kaum Unterschiede zu einem CDU-Senat erkennen lässt, der sich gegen Sozialhilfeempfänger, Gewerkschaften etc. richtet. In der ganzen Stadt sind die Leute desillusioniert, die geglaubt haben, über die Wahl der PDS könnte man was verändern. Jetzt gibt es viele Initiativen, die sich dagegen wenden. In dieser Situation ist Reinauers „My Fest“ ein hilfloser Versuch, durch Brot und Spiele das Ganze zu beruhigen. Gut gemeint, aber entpolitisierend.

Aber die Politik wollen Sie doch reinbringen?

Auf der Demo werden wir es versuchen. Aber am Abend ist überall Musik und Wurst, da bleibt kein Platz für Diskussionen.

„Fundamentale Kritik heißt eben nicht, mehr Spielplätze zu fordern oder die Tobin-Steuer“

Hat es die sonst gegeben am 1. Mai?

Nein, aber das war die Idee vom Personenbündnis von Peter Grottian im letzten Jahr. Da gab es den Versuch, neben dem Üblichen – erst die Demo, und am Abend kracht es – etwas dazuzunehmen: nämlich eine Diskussion.

Sie sind einer der wenigen Linksradikalen, die als Person auftauchen. Sie vertreten Antifa-Positionen bei Fernsehdiskussionen, bekommen aber auch die Strafbefehle der Polizei.

Das ist ein Nachteil, wenn man sich auf das Spiel der Medienwelt einlässt. Dazu haben wir uns aber entschieden.

Warum Sie?

Im Prinzip ist das auswechselbar. Aber es ist zum einen prozessökonomisch, sich auf wenige Leute zu konzentrieren. Und ich verschweige nicht, dass es mir manchmal auch Spaß macht, mich mit Leuten auseinander zu setzen, wenn die Kamera läuft.

Gibt es eine Trennung in Ihrem politischen und beruflichen Leben?

Für mich sind das keine unterschiedlichen Welten. Klar, wenn ich als Arzt im Krankenhaus arbeite, gebe ich keine Interviews. Aber ich bin auch dort immer konfrontiert mit allem, was mich in der Gesellschaft stört. Gerade im Gesundheitsbereich wird es immer unerträglicher: profitorientierter und entsolidarisierender.

Können Sie sich vorstellen, hauptberuflich Politik zu betreiben?

Das hieße Parteipolitik?

Oder in einer Organisation.

NGOs? Was mich anwidert, sind Organisationen, die im Namen der Zivilisation als Weltverbesserer auftreten und bei allihren Verwaltungsapparaten vergessen, was sie sind: bestenfalls Manager in der Abfederung neoliberaler Grausamkeiten.

Machen Sie das nicht auch als Arzt?

Da ist es ja schlimm genug. In der etablierten Parteien- oder Organisationspolitik wird man doch sofort verschlissen. Alles nur Sachzwänge. Man wird automatisch zum Mitverwalter.

Und wie sieht es mit einer politischen Karriere aus, falls es doch mal zu einer Revolution kommt?

Vielleicht in einem anderen Land.