„Die Gesellschaft hält sich das Thema vom Leib“

Es ist plausibel, dass es spezifische Gedenkformen für die Bundeswehr gibt, sagt der Geschichtsprofessor Manfred Hettling

MANFRED HETTLING, Jg. 1956, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

taz: Herr Hettling, befördert das Ehrenmal der Bundeswehr eine Militarisierung des öffentlichen Raumes?

Manfred Hettling: Nein. Öffentliche Gedenkformen für Soldaten, die im Einsatz umgekommen sind, sind in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit – und keine Militarisierung. Außerdem steht das Ehrenmal nicht zentral im öffentlichen Raum, sondern auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums, abseits des Stadtzentrums.

Aber es wird öffentlich zugänglich sein. Und es wird eine verschiebbare Wand haben, um mal öffentlicher Raum, mal intimer Raum des Verteidigungsministeriums zu sein.

Das hat erst mal einen praktischen Grund: Sicherheit. Mit dieser Wand kann das Gelände des Ministeriums nach außen abgeschlossen werden. Ich finde, dass diese Lösung – wohl unfreiwillig – die Trennung von Militär und ziviler Gesellschaft symbolisiert. Eine gemeinsame Nutzung des Raumes von Militär und Gesellschaft ist nicht möglich.

Das ist ein falsches Symbol?

Ja, die Bundeswehr ist doch seit langem in unsere Gesellschaft integriert. Ein politisch und staatsbürgerlich selbstbewussteres Denkmal könnte genau diese Integration des Militärs in die Normen der zivilen Gesellschaft darstellen. Das tut dieses Ehrenmal nicht.

Warum hat es so wenig Debatten um das Ehrenmal gegeben? Weil Verteidigungsminister Jung es als seine Privatangelegenheit behandelt hat?

Eher als Ressortsache. Doch meine Kritik richtet sich an das Militär und an die Öffentlichkeit. Das Verteidigungsministerium hat sich nicht um eine breite Debatte bemüht – aber es gab auch vonseiten der Öffentlichkeit – der Bürger – wenig Versuche, dies zu ändern. In Bezug auf das Ehrenmal herrscht ein ziemlich großes Schweigen.

Warum?

Weil die gewohnten linken und rechten Deutungsmuster nicht richtig passen. Wohl deshalb gibt es eine Scheu, sich zu äußern.

Einige Grüne und Wolfgang Thierse haben ein Denkmal vorgeschlagen, das auch Polizisten und zivile Kräfte in Auslandseinsätzen einschließt. Ist das Ehrenmal eine falsche Privilegierung des Militärischen?

Nein. Die Bundeswehr ist doch in einer besonderen Lage. Soldaten sind im Kampfeinsatz legitimiert zu töten und auch in viel größerer Gefahr, getötet zu werden. Es ist plausibel, dass es dafür auch spezifische Gedenk- und Symbolisierungsformen gibt. Aber über diese Grundfragen – wer gedenkt wessen? – fehlt bis heute in der Tat eine intensive Debatte. Und zwar auch, weil sich die Gesellschaft dieses Thema vom Leib hält. Die Öffentlichkeit nimmt ja auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr eher stillschweigend hin. Das Ehrenmal hätte die Chance geboten, die neue Rolle der Bundeswehr grundlegend zu debattieren. Das ist verpasst worden. Und ich zweifle, dass dies überlegt nachgeholt werden kann, wenn es zu mehr toten Bundeswehrsoldaten kommt.

Was wird das Ehrenmal in zehn Jahren sein? Wird es ein „Erfolg“ – also von der Öffentlichkeit angenommen?

Eine schwierige Frage. Klar ist, dass Denkmäler oft nicht werden, was sie im Sinne ihrer Stifter werden sollen.

Zum Beispiel?

In Deutschland wurde im 19. Jahrhundert unentwegt versucht, das Nationaldenkmal zu bauen. Das reicht von der Walhalla 1842 über das Hermannsdenkmal 1875, die Kaiser-Wilhelm-Denkmäler bis zum Völkerschlachtdenkmal 1913 in Leipzig. Das waren alles Versuche, das Werden der Nation zu symbolisieren. Doch keins fand deutschlandweit Anerkennung, deshalb wurden immer neue gebaut.

Will sagen: Es wird noch ein Bundeswehrdenkmal geben?

Vielleicht. Es ist durchaus möglich, dass dieses Ehrenmal nur als Denkmal der Bundeswehr wahrgenommen werden wird. Schon der Begriff Ehre verweist ja aufs Militärische. Es kann also in absehbarer Zeit eine Debatte geben, ob wir nicht ein anderes – ein umfassenderes oder ein staatsbürgerliches – Denkmal brauchen. Eines, das mehr politische und weniger militärische Konnotationen hat. INTERVIEW: STEFAN REINECKE