nebensachen aus buenos aires
: Die Qual kommt erst nach der Wahl

Westerwelle als illustrer Gast im argentinischen Wahlkampf

Wer zur Wahl muss, hat die Qual. Es waren die üblichen Mafiosi, die sich am Sonntag den Argentiniern zur Wahl des neuen Präsidenten anboten. Wo sollte man da als halbwegs intelligenter Mensch sein Kreuz machen? Es galt zu wählen zwischen dem großen Übel und dem weniger großen Übel. Was tun?

Einfach zu Hause bleiben, die Wiederholung des Champions-League-Matchs Real Madrid gegen Manchester United sehen? Bier aufmachen, Pizza bestellen? Das wäre es gewesen. Ging aber nicht. Denn erstens durfte von Samstagabend 20 Uhr bis Sonntagabend 19 Uhr in Argentinien kein Alkohol verkauft werden, damit die Bürger nüchtern zur Qual erscheinen. Und zweitens ist in Argentinien das Wählen ein Muss. Im Wahllokal gibt es einen Stempel in den mehrseitigen Personalausweis, der davon Zeugnis ablegt, dass man seiner staatsbürgerlichen Pflicht Folge geleistet hat. Fehlt der Stempel, kann es Probleme geben. Etwa bei der Ausreise, wenn man den regierenden Mafiosi des Landes entfliehen will.

Die Rache vieler Argentinier ist daher, die Comicfigur Clemente auf den Wahlzettel zu malen und ihn damit ungültig zu machen. Clemente hat keine Arme und könne deshalb nicht die Staatskasse klauen. Oder einfach Parolen auf den Zettel kritzeln. „Fahrt alle zur Hölle!“ hatte mal Kojunktur. Aber es geht auch anders. Mein Nachbar versichert, statt des Wahlzettels eine Scheibe Salami in den Umschlag gelegt zu haben. Sinn macht das keinen, ist aber die vielleicht klügste Entscheidung.

Denn was sich da zur Wahl stellte, sind wirklich ausnahmslos traurige Figuren: der ewige Macho Carlos Menem, das Nichts Néstor Kirchner, der Clown Adolfo Rodríguez Saá. Und wenn man gerade denkt: Jetzt geht's wirklich nimmer schlimmer, dann kommt aus Deutschland der illustre Gast Guido Westerwelle angereist und meint auch noch mitmischen zu müssen im argentinischen Wahldrama. Ja, der mit den 18 Prozent. Wie argentinische Zeitungen erfuhren, ging Westerwelle mit dem Rechtsausleger Ricardo López Murphy im Sheraton-Hotel mittagessen.

Was sich die beiden zu sagen hatten, weiß man nicht. Was man weiß, ist, dass Guido Westerwelle López Murphy für den geeigneten Wahlsieger hält und dass er glaubt, Argentinien wie Deutschland täten liberale Ideen an der Regierung ganz gut. Da ist er mit López Murphy sicher an den Richtigen geraten. Der Mann hat Figuren in seinem Beratergremium, die während der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) im Wirtschaftsministerium daran gearbeitet haben, dass der Liberalismus in Argentinien triumphiert – wem das nicht passte, der wurde eben gefoltert oder ermordet. Später, als López Murphy Verteidigungsminister der demokratischen Regierung von Fernando de la Rúa (1999–2001) war, verteidigte er die Amnestiegesetze für die Militärs, welche den Mördern von über 10.000 Regimegegnern bis heute Straffreiheit zusichern.

Kleinkriminelle will der liberale López Murphy möglichst lange hinter Gitter sperren – je früher, umso besser. Auch schon Jugendliche unter 14 Jahren sollen, wenn er einmal Präsident ist, den harten Arm des Gesetzes zu spüren bekommen. Interessant, was für Freunde sich der Wahlkampftourist Westerwelle ausgesucht hat. Sicher ist: Mit seinem Freund López Murphy kommt die richtige Qual erst nach der Wahl. INGO MALCHER