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: Mit haarsträubendem Witz: Die Türen lassen die Neue Deutsche Welle schäumen

Hilfe, nein, bitte nicht! Nicht schon wieder! Nicht noch ein NDW-Aufguss! Nicht schon wieder geil gestylte Achtzigerjahre-Fressen, nicht schon wieder dieses langweilige Nena-war-so-cool-Gefasel! Wie bitte? Ist gar nicht so? Sondern?

Sondern eher das Gegenteil: Ungeil gestylte Fressen und ein quirliger Rundumschlag, der die Aufbruchstimmung der Neuen Deutschen Welle sehr viel greifbarer macht als alle anderen Bands, die sich zur Zeit auf die Achtzigerjahre berufen. Das Berliner Synthie-Agit-Pop-Trio Die Türen platzt fast vor überdrehter Energie und haarsträubendem Humor. Die Musikzeitschriften feiern überschwänglich ihre aktuelle Platte „Das Herz war Nihilismus“, denn die Türen haben kurzen Prozess gemacht: Geld von Oma gepumpt, Platte aufgenommen, eigenes Label gegründet, Platte selbst veröffentlicht und die erste Auflage von 1.000 CDs innerhalb weniger Wochen verkauft.

Die Türen sind die Sorte Berliner, die nicht wirklich aus Berlin kommen. Vor gut 30 Jahren im Münsterland geboren, begann dort ihr musikalischer Werdegang. Sie spielten in wechselnden Orgel-Punk-Funk-HipHop-Formationen, meistens sangen sie deutsche Texte. Sie verehrten die legendäre Düsseldorfer Atatak-Gemeinde um Neue-Deutsche-Welle-Bands wie Der Plan und S.Y.P.H. Nach Berlin hat es die drei erst kurz nach der Jahrtausendwende verschlagen, als der Sieg des platten Revivalgeistes seinen Lauf nahm und ihnen den Spaß verdarb. Vor einem Jahr waren sie davon so genervt und gelangweilt – daher ihr „Herz war Nihilismus“ –, dass sie aus Protest Die Türen gründeten.

Was mit dem Ziel der Zerstörung begann, verlor unter dem Einfluss des unbeugsamen Humors der Türen seine destruktive Kraft. Die Türen haben sich mit ehrlicher Begeisterung, Spaß an der Parodie und mit viel Gefühl an der Pop-, Punk- und Indiemusikgeschichte vergriffen. Sie fliegen mit Elektrobeats und -bässen, unzählbaren Synthiemelodien, gammelfunkigen Garagengitarren und kraftvollem Schwuchtelgesang durch ein Universum aus Falco, Trio, DAF und Kraftwerk und machen auch vor Schlagern und einer Doowopballade über einen traurigen, flauschigen Skinhead nicht Halt. Die Musik ist gut zusammengeklaut und arrangiert und mit einer gewissen Großzügigkeit für unsaubere Breaks ausgestattet.

In ihren Texten reihen die Türen zusammenhangslose Gedankenfetzen und geistreiche und geistlose Wortspiele aneinander, wie „Nimm den Dackel von der Leine und den Beutel aus dem Tee“. Sie treffen auf verwirrende Mädchen, irren knabenhaft verwundert durch das Mysterium der bundesdeutschen Außenwelt und stellen Lifestyleopfer bloß: „Wochenendrevolution / einen Standpunkt beziehen mit Blick auf die Stadt / die Pose als Position“. Bevor es aber zu ernst werden könnte, schieben sie lieber einen Kalauer ein. Sie haben zum Beispiel Schillers „Öde an die Freude“ vertont.

Wer für faule Witze nichts übrig hat, wird es mit den Türen schwer haben. Sie stehen auf der Kippe zwischen totalem Schwachsinn und ernst zu nehmender Kritik. Sie parodieren den Zeitgeist, ohne zu bewerten, und tragen manchmal etwas zu dick auf.

Die Türen durchbrechen nicht wirklich den Retrozaun, aber sie machen „ordentlich Betrieb“, wie man in Dresden sagt. Und sie sind einfach witzig. Nicht so dogmatisch oder langweilig zu sein wie der jugendliche Nachwuchs, der sich noch immer lieber an Nena hält als an den Teil der Neuen Deutschen Welle, der Euphorie verbreiten konnte.

OLGA LOUISE DOMMEL

Die Türen: „Das Herz war Nihilismus“. Staatsakt/Indigo. Am 14. 3. treten sie im Roten Salon auf