Die Generation Offline

Gerade mal ein Viertel der älteren Deutschen kann mit dem Internet etwas anfangen. Das Familienministerium will helfen: Gestern startete das Projekt „Online-Kompetenz für die Generation 50 plus“. Die Alten sollen in einem Rennen bestehen, in dem wir, die Jüngeren, sie sonst gerne verlieren lassen

VON NADJA KLINGER

Gleich geht’s los.

Gleich wird Tempo gemacht. Es startet ein großes Rennen. Der Lauf der Generationen.

Bevor es losgeht, gibt’s in aller Ruhe eine Geschichte. Sie erzählt von meinen Eltern, wie sie des Abends in ihren Sesseln sitzen. Im Fernsehen läuft eine Unterhaltungssendung. Es tritt ein Mann auf, eine Art David Copperfield, der behauptet, dass ihm Kräfte innewohnen, mit denen er defekte technische Geräte reparieren könne. Meine Eltern wissen nicht, ob sie das glauben sollen. Es beschleicht sie ein komisches Gefühl. Allerdings kennen sie dieses Gefühl, es ist ihnen vertraut. Nicht mehr zu wissen, was Sache ist, gehört mittlerweile zu ihrem Leben dazu.

Wohl deswegen stehen sie nun jeder von ihrem Sessel auf und folgen der Aufforderung, defekte Geräte zu holen, denn der Zauberer kann sie auch aus der Ferne wieder in Ordnung bringen. Meine Mutter setzt sich mit dem Fotoapparat nieder, ihrem Gatten stellt sie den Toaster auf den Schoß. „Der doch nicht, der ist durchgebrannt“, sagt der. „Ja, da ist irgendwann mal was durchgebrannt“, sagt meine Mutter, „aber so kann man das heute nicht mehr sehen.“

Meine Eltern sollen die Augen schließen und sich ganz auf ihre Geräte konzentrieren. Aus dem Fernseher kommt Stille. „Was fuchtelt der denn da?“, sagt der Mann meiner Mutter. Er hält den Toaster nicht gerade. Uraltes Brot krümelt über seine Hose. Zwischen dem defekten Fotoapparat und den Händen meiner Mutter bildet sich Schweiß. Sie ist so konzentriert, dass sie nicht einmal mit ihrem Mann meckern kann. Wie stur und unbelehrbar er ist. Absolut aus der Zeit.

Am Ende der Geschichte rief meine Mutter bei mir an. Es war gerade ungünstig, wie immer, wenn sie anrief, vor allem deswegen, weil sie jedes Mal nicht nur schnell etwas sagen, sondern richtig reden wollte. Diesmal redete sie über ihren Toaster, der immer noch kaputt war, ganz im Gegensatz zu dem alten Fotoapparat, mit dem sie jetzt wieder Bilder machen konnten. „Stell dir vor!“, rief meine Mutter.

Grundsätzlich kann ich mir nur schwer vorstellen, was sie so treiben, meine Eltern. Wir leben nicht weit voneinander entfernt, aber wir leben in einem anderen Tempo. Während meine Mutter eine Telefonnummer wählt, betrete ich per Computer einen Ort, den ich schon wieder verlasse, wenn sie noch die Klingeltöne abwartet. Ich bin schon wieder ganz woanders, wenn sie umständlich den Anrufbeantworter bespricht. Und ich habe die halbe Welt durchreist, ehe sie einen Rückruf bekommt.

Wer sind meine Eltern? Sie sind die, die seit geraumer Zeit im Gerede sind. Die Alten. Sie sind die Letzten mit einer guten Rente. Sie gehören zur Generation über 50. Sie halten das größte Nettogeldvermögen der Bundesrepublik in den Händen. Wann immer Menschen wie meine Eltern in den letzten Jahren ins Gerede gekommen sind – nie ist dabei so richtig Gutes zur Sprache gekommen. Es ging darum, dass die Gesellschaft keine Arbeit für sie hat. Dass sie ein bisschen was von ihrer Rente abgeben sollen. Dass wir sie irgendwann pflegen müssen, aber nicht wissen, wie.

Man braucht gute Sinne, um meine Eltern überhaupt noch wahrzunehmen. Sie stehen im Abseits, irgendwo da hinten – jedenfalls nicht in der Mitte, nicht bei uns. Das Bundesfamilienministerium hat am Dienstag eine Initiative gestartet, mit der es Menschen wie meinen Eltern dazu verhelfen will, ins Internet zu gehen. Die Alten, die immerhin ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, sollen das Zeitmaß der Jüngeren aufnehmen. Während 90 Prozent der Jugendlichen online gehen, tut das gerade mal noch ein Viertel der über 50-Jährigen.

Im Familienministerium sagt man, das Internet sei aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Die Dresdner Bank, die die Initiative unterstützt, meint, dass Bankgeschäfte keine modernen Bankgeschäfte mehr wären, wäre da nicht das Internet. Und die Telekom, ebenfalls am Projekt beteiligt, wird bald das „Rundum sorglos“-Paket anbieten. Internetanschluss und Zugangssoftware stecken in diesem Paket, aber auch viel Papier, auf dem geschrieben steht, wie’s geht. Die Generation Offline soll ins Netz. Es wird Schnupperkurse geben, Seminare, eine Hotline und Hilfe aus dem Internet. Niemand wartet auf die Generation Offline. Man kennt die Probleme, die sie zuweilen hat: mit der Technik, mit Bedienungsanleitungen, mit der Abgeschiedenheit in ländlichen Gebieten, mit ihren gebrechlicher werdenden Körpern sowieso. Diese Generation soll doch einfach dorthin kommen, wo all die anderen Generationen auch sind.

Erklären können wir ihnen nicht, wie das geht. Angetrieben von den technischen Möglichkeiten und angeführt von der Jugend findet ein Rennen statt, in dem es uns unmöglich geworden ist, stehen zu bleiben und mit unseren Eltern unsere Erfahrungen zu teilen. Das soll jetzt wieder mal der Staat übernehmen. Mit einem Programm.

Ob das funktionieren wird? Wer weiß. Vor ein paar Jahren haben sich die sozialdemokratischen Regierungschefs Europas im Rahmen ihres hochtrabenden Projekts „Modernes Regieren“ ebenfalls vorgenommen, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Sie wollten per E-Mail miteinander verkehren. Gerhard Schröder soll mühevoll gelernt haben, wie er die Post von Tony Blair aus dem Netz fischen kann.

Die Staatssekretärin im Familienministerium, die gestern die Initiative vorstellte, hat bereits einen Internetanschluss zu Hause. Im Netz war sie noch nie. Sie brauche jemanden, der ihr Mut macht, sagt sie. Sie will das „Rundum sorglos“-Paket der Telekom kaufen. Vielleicht hilft ihr aber auch so ein Zauberer aus dem Fernsehen.