Mit dem Scheckbuch gegen Schlagstöcke

Viele Migranten scheuen sich aus Angst vor den Konsequenzen, Übergriffe von Polizeibeamten anzuzeigen. Nun haben vier Berliner Beratungsstellen einen Rechtshilfefonds für Opfer rassistischer Polizeigewalt ins Leben gerufen. Damit sollen diese in eventuellen Prozessen finanziell unterstützt werden

von HEIKE KLEFFNER

Die tiefblauen Flecken auf dem Rücken von José A. (Name der Redaktion bekannt) sind längst verblasst. Die Polizeibeamten, die José A. im März 2002 in seiner Wohnung in Kreuzberg misshandelten, blieben ganz ohne Blessuren. Denn zu einer juristischen Aufklärung des Übergriffs auf den Akademiker kam es nicht. Die Polizisten hatten José A. wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ und Beleidigung angezeigt. Ein knappes halbes Jahr nachdem die Beamten wegen „Lärmbelästigung“ in die Wohnung von José A. eingedrungen waren, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.

José A. habe auf eine weitere juristische Verfolgung der Beamten verzichtet, erklärt sein Rechtsanwalt Martin Rubbert, weil sein Mandant im Falle einer Verurteilung aufgrund seiner nichtdeutschen Herkunft negative Konsequenzen für seine berufliche Karriere fürchtete. Daraufhin wurde auch das Verfahren gegen José A. eingestellt.

Keine Seltenheit, wie eine Dokumentation zu rassistischer Polizeigewalt der „Aktion Courage“ zeigt. Spätestens wenn Migranten einen polizeilichen Übergriff anzeigten, bestünde immer die Gefahr einer Gegenanzeige, sagt Helga Seyb von der Opferberatungsstelle „Reach Out“. Daher müsse bereits die Einstellung der Verfahren gegen Opfer als juristischer Erfolg gewertet werden.

Rubbert weiß, dass die meisten Betroffenen nicht einmal anwaltliche Beratung suchen, weil sie solche Übergriffe als Normalität wahrnehmen. „Deutsche rsikieren im Fall einer Gegenanzeige durch Beamte lediglich eine Verurteilung, ausländische Personen laufen zudem Gefahr, ausgewiesen oder abgeschoben zu werden“, so Rubbert. Teils jahrelange Gerichtsverfahren, hohe psychische sowie finanzielle Belastungen gehören zu den Konsequenzen, die Migranten in Kauf nehmen müssen, wenn sie Anzeige erstatten.

Auch der türkischstämmige Kameramann S. Demir (Name der Redaktion bekannnt), der im Mai 2000 als Gastgeber einer Party in Kreuzberg von Polizisten schwer misshandelt wurde, landete zunächst selbst vor Gericht, wurde aber im Juni 2001 vom Vorwurf des Widerstands freigesprochen. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Übergriff verurteilte das Landgericht einen der Beamten wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung zu einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe. Das sei aber eine Ausnahme, sagt Seyb. Üblicher sei die Verurteilung betroffener Nichtdeutscher und die Einstellung von Ermittlungsverfahren.

Allzu häufig gehe rassistisch motivierter Misshandlung das so genannte racial profiling voraus, kritisiert Seyb. Im Polizeideutsch nennt sich das „verdachtsunabhängige Kontrollen“, bei denen vorwiegend äußere Kennzeichen wie Hautfarbe, Kleidung und Muttersprache als Kritierien herangezogen werden. Einen solchen Fall – eine Polizeirazzia der vorwiegend von afrikanischen Migranten besuchten und betriebenen Kreuzberger Diskothek „Tam Tam“ im Februar 2003 – haben die Grünen nun zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage gemacht. Mehrere Gäste sowie der Geschäftsführer des Tam Tam sollen dabei von Beamten geschlagen worden sein.

Um Betroffene künftig professionell und finanziell unterstützen zu können, haben sich nun Berliner Beratungsstellen zur „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ zusammengeschlossen. Das Antidiskriminierungsbüro Berlin, der Ermittlungsausschuss, Netzwerk Selbsthilfe und Reach Out haben einen Rechtshilfefonds für Opfer rassistisch motivierter Polizeiübergriffe gegründet.