„Schönen Schrank auch!“

Hunni ist tot – der letzte Aktive der Gründer des Obdachlosentheaters „Ratten 07“. Die Paraderolle des Uwe Hundertmark: Spendenschnorrer in der Volksbühne

Er hätte auch die Idylle, das Postkartenkitschbild vom ewigen Penner spielen können: mit diesem unvergleichlichen Chinesenbart, mit breitem Landfahrerhut und dieser Stimme eines Marktschreiers. Und gelegentlich hat er denen, die ihm nahe sein durften, den in Wirklichkeit ja harten und gefährlichen Alltag des eigenen Lebens und Überlebens auch tatsächlich als Rolle vorgeführt, als Spiel mit der Wirklichkeit, wenn dieser „Hunni“, bürgerlich Uwe Hundertmark und damals Anfang 30, sich etwa für ein Stündchen am „Schlemmermarkt“ des Hamburger Hauptbahnhofs niederließ und dort die penetrante „Haste ma ne Maak?“-Show abzog. Da würden ihn heute wohl die Hamburger Schill- und Sheriff-Banden abzuräumen versuchen, doch er würde auch denen, vielleicht mit Erfolg, erklären, dass das bloß Theater sei.

Hunnis Theater – wie er es gelernt hat im Berliner Obdachlosentheater „Ratten 07“, das er mitbegründete vor gut zehn Jahren. Und wie er es auch gelehrt hat – viele, die ihm zusahen; und alle, die ihm gefolgt sind in den Stücken von „Ratten 07“. Und ihn jetzt betrauern. Uwe Hundertmark ist gestorben, im 39. Jahr.

Zum harten Kern jener Obdachlosen gehörte Hunni, die der schottische Regisseur Jeremy Weller im Spätherbst 1992 für die Mitarbeit im grenzgängerischen Projekt „Die Pest“ nach dem Text von Albert Camus gewann; an der Volksbühne, dem damals brandneuen Theaterlabor des Teams um Frank Castorf, beginnt Hunnis neues Leben. Als Weller wieder geht, wollen Hunni und die Kumpane der ersten Stunde nicht zurück ins Nichts – mit Regisseur Roland Brus gründen sie „Ratten 07“; sind zu Hause im Kellerloch der Mulackstraße 22. Zehn Jahre „Über Leben spielen“ hat Hunni seither in Berlin zugebracht – mit regelmäßigen Auszeiten: Reisen, Knast, Krankenhaus. Manchmal wussten nicht mal die Mit-Ratten, wo er ist.

Und dann war er „Lear“. Und Staatsoberhaupt in Büchners „Leonce und Lena“-Königreich. Und einer der vielen Wladimirs und Estragons in der „Godot“-Bearbeitung von Brus. Und ein Teil des Fremden an sich, wie Castorf es für Ibsen und „Die Frau vom Meer“ zu nutzen wusste – da stehen Hunni und Andy und JKD im entscheidenden Augenblick Corinna Harfouch gegenüber und stellen die Grundsatzfrage: Ja oder nein? Gefangen bleiben oder frei sein? Wann wäre dieser existenzielle Moment denn so sonst möglich im Theater – Hunni, die Ratte, war ein Teil dieser Wahrheit.

So ist er zum Muster des authentischen Darstellers geworden: als Antwort auf den bös-bornierten Spruch jener bedeutenden Schauspielerin, die sich beschwerte, dass jetzt schon Obdachlose auf die Bühne dürften – wozu denn da noch jemand das schwierige Handwerk erlernen solle? Hätte sie Hunni öfter spielen sehen mit seiner Art „Handwerk“, sie hätte ihre Meinung vielleicht noch geändert. Weil dem Theater neuen Typs mit seinem Spiel mit dem Authentischen erstaunlich großer neuer Reichtum zuwuchs. So reich nämlich waren und sind die Leute, die wie Hunni sind.

Sie werden ihn begleiten auf dem letzten Weg wie noch keinen zuvor. Zuletzt war er Musiker gewesen in „Rebell und das Böse“, einem Stück der Mit-Ratte Jana Janeckova – und erinnerte noch einmal an die Rolle, die er am Beginn jener Lebenszeit, die ihm (wie er selbst sagte) durch das Theater geschenkt war, fast immer gespielt hatte: den Spendenschnorrer nach der Vorstellung, mit der immer gleichen Danksagung: „Schönen Schrank auch!“

MICHAEL LAAGES