Auf dem Steuerkarussell

Die EU-Staaten sind nicht bereit, ihre Mehrwertsteuersätze anzugleichen. So fördern sie die Wirtschaftskriminalität

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Normalerweise sind Menschenhandel, Drogendeal oder Umweltskandale der Stoff, aus dem Krimis zur grenzüberschreitenden Kriminalität gestrickt werden. Verschreckte Kinder in Kellerlöchern oder hohläugige Junkies lassen sich leichter in Szene setzen als Wirtschaftskriminelle mit Nobelkarossen und Aktenkoffern, die die EU um Riesensummen erleichtern, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Zum Beispiel beim Zigarettenschmuggel.

Nach Schätzungen gehen dem EU-Haushalt jährlich bis zu zwei Milliarden Euro dadurch verloren, dass Zigaretten am Zoll vorbei eingeführt und vor dem Verkauf mit gefälschten Zoll-Banderolen versehen werden. Zigarettenkonzerne stehen in Verdacht, an dem Piratengeschäft beteiligt zu sein, da die Verpackungen so perfekt sind, dass sie von legalen Fertigungsbändern stammen müssen. Letzten Sommer hat die EU gegen die beiden amerikanischen Tabakkonzerne Philip Morris und R.J. Reynolds deshalb in den USA geklagt.

Einträglich ist auch das so genannte Mehrwertsteuer-Karussell, dem die ARD kürzlich zur besten Sendezeit einen Krimi widmete. Das System, nach dem Waren innerhalb der EU teils offiziell, teils heimlich über die Grenzen geschafft werden, um die Mehrwertsteuer-Differenz illegal zu kassieren, ist ziemlich kompliziert. Susanne Lothar, die die Ermittlerin der Brüsseler Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF spielte, verstrickte sich denn auch im Dialog mit einem amerikanischen Journalisten rasch in gähnend langweiligen Details.

Auf die Frage, warum die Mitgliedsländer ihre Mehrwertsteuersätze nicht angleichen, um das kriminelle Karussell zu stoppen, hatte sie allerdings eine einleuchtende Antwort: Steuerhoheit bedeutet Macht, und die lassen sich Regierungen nicht nehmen, selbst wenn – wie im Fall Mehrwertsteuer – damit eine Betrüger-Branche am Leben gehalten wird. Immerhin gelang kürzlich bei der Energiesteuer und der Zinsertragsteuer, über die seit Jahren debattiert wird, ein Durchbruch. Dafür mussten alle fünfzehn Regierungen zustimmen, was nur durch komplizierte Tauschgeschäfte und Übergangsfristen möglich war.

Da in der EU der 25 dieser Prozess noch mühsamer wird, hat die Konvents-Arbeitsgruppe „Ordnungspolitik“ vorgeschlagen, die Einstimmigkeit in einigen Bereichen der Steuerpolitik, die Belange des Binnenmarktes berühren, abzuschaffen. Als aber die kleinen EU-Länder bei einem Sondergipfel zu dem Thema befragt wurden, war schnell klar, dass sie keine Beschneidung ihrer Steuerhoheit wünschen.

Auch die Idee, einen europäischen Staatsanwalt einzusetzen, der die finanziellen Interessen der Gemeinschaft wirksamer schützen könnte als die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF, ist im EU-Konvent umstritten. Zwar sehen alle Delegierten die Notwendigkeit, auf neue Formen von grenzüberschreitender Kriminalität mit einer grenzüberschreitenden Institution zu antworten. Doch gleichzeitig sind die Vorbehalte groß, Kompetenzen an eine supranationale Staatsanwaltschaft abzugeben.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Eigenmittelfrage. Als Haushaltskommissarin Michaele Schreyer Ende März ihren Konventsvorschlag zur Reform der Finanzverfassung erläuterte, stellte sie klar: „Schon heute wachsen die Mitgliedsbeiträge nicht auf den Bäumen, aber die Steuern, aus denen sie fließen, sind nicht identifizierbar.“ Bis zu Beginn der 70er-Jahre sei die Hälfte des EU-Haushalts aus Zöllen finanziert worden, die aber mit zunehmendem Abbau der Handelsschranken auf mittlerweile 14 Prozent des Budgets geschrumpft seien. Deshalb sei es wichtig, die Eigenmittel in der neuen Verfassung wieder deutlich zu definieren.

Seit 1970 kassiert die EU einen festen Anteil der nationalen Mehrwertsteuer, um das Loch zu stopfen, seit 1988 kam ein Mitgliedsbeitrag hinzu, der sich am Bruttoinlandsprodukt misst. Derzeit fließen 1,09 Prozent des BIP der Mitgliedstaaten in den EU-Haushalt. Würde dieses Mischsystem durch eine Steuer ersetzt, wäre die EU einen Schritt weiter auf dem Weg zu einem souveränen Bundesstaat. Denn neben der Machtbefugnis für die Institutionen ist es die Verfügungsgewalt über die Finanzen, die politisches Gewicht verleiht.

Als der EU-Konvent Anfang des Monats zum ersten Mal im Plenum über die EU-Steuer diskutierte, war die große Mehrheit der Redner über Partei- und Ländergrenzen hinweg dagegen. Eine zusätzliche Steuer, so das Hauptargument, sei den Bürgern in diesen Zeiten nicht zuzumuten.

Weniger schroff reagierten die Delegierten auf die Idee, die Rechte von Kommission und Parlament bei der Haushaltsplanung zu stärken. Derzeit ist es so geregelt, dass die Kommission für die jeweils nächste Planungsperiode von sieben Jahren einen Vorschlag ausarbeitet und der Rat so lange über die Details verhandelt, bis alle Mitglieder zustimmen können.

Das führte in der Vergangenheit zu unsinnigen finanziellen Zugeständnissen an störrische Regierungschefs, die Geschenke vom Gipfel mit nach Hause bringen wollten. Dieses Vetorecht gilt für die kommende Periode ab 2007 nicht mehr, lediglich für die Strukturfonds wurde es auf Drängen der Spanier bis 2013 verlängert.

Die Kommission möchte künftig ein echtes Vorschlagsrecht. Sowohl der Rat als auch das Parlament sollen die Planung absegnen, was die Machtposition der Regierungschefs beschränken würde. Außerdem soll das Parlament das volle Budgetrecht bekommen, inklusive Mitsprache beim Agrarhaushalt, der die Hälfte des Budgets ausmacht und den die Regierungschefs bislang hinter verschlossenen Türen verteilen. Derzeit ist das Europaparlament das einzige demokratisch gewählte Parlament der Welt, das nur über eingeschränktes Haushaltsrecht verfügt.

Dass der Konvent beim Haushaltsrecht weniger ablehnend reagiert als bei der EU-Steuer, ist nicht erstaunlich. Vor dem Reizthema Steuer soll der Bürger bewahrt werden – so kurz vor der Europawahl. Eine neue Machtverteilung zwischen Rat, EU-Parlament und Kommission dagegen liegt im Interesse all der Delegierten, die nicht Regierungsvertreter sind. Sollte der Konvent sich darauf verständigen, dem Parlament das „Königsrecht“ übers ganze Budget zu geben, ist das noch nicht das Ende der Geschichte. Das letzte Wort über die Verfassung haben die Regierungschefs.