Hutu und Tutsi wagen den Neubeginn

von DOMINIC JOHNSON

Es soll ein großer Tag werden für Afrika. Morgen wird Burundis Präsident Pierre Buyoya die Macht an seinen Stellvertreter Domitien Ndayizeye abgeben. Ein historischer Moment: Ein Tutsi-Politiker aus der traditionellen Militärelite, der 1996 per Putsch an die Macht kam, übergibt die Stafette an einen Hutu aus Burundis größter Partei.

Vor fast genau zehn Jahren hat Buyoya schon einmal das Amt des Präsidenten an einen Hutu übergeben – nachdem er im Juni 1993 die ersten freien Wahlen seit 30 Jahren an Hutu-Führer Melchior Ndadaye verlor. Wenige Monate später wurde Ndadaye von Tutsi-Militärs ermordet, es folgten Massaker. Seitdem herrscht Bürgerkrieg zwischen Armee und Hutu-Rebellen. Von den sieben Millionen Burundern wurden 300.000 getötet, 1,2 Millionen vertrieben.

Der morgige Machtwechsel, Ergebnis eines im August 2000 zwischen Tutsi- und Hutu-Politikern im tansanischen Arusha geschlossenen Friedensvertrages, ist ein Versuch, die Geschichte zu wiederholen – diesmal mit glücklichem Ausgang. Der Friedensvertrag von Arusha sah vor, dass ab seinem Inkrafttreten im November 2001 eine dreijährige Übergangszeit zur Demokratisierung beginnt, in der erst ein Tutsi 18 Monate lang mit einem Hutu-Vize amtiert und dann 18 Monate lang ein Hutu als Präsident mit einem Tutsi-Vize. Eine strenge Ämterquotierung zwischen Hutu und Tutsi in Politik und Militär soll die Vorherrschaft einer Gruppe über die andere unmöglich machen.

Die Logik ist einfach: Burundi ist wie Ruanda politisch zwischen Hutu und Tutsi gespalten; die Hutu bilden die Bevölkerungsmehrheit. Wenn allein sie bei Wahlen über die Macht entscheiden würden, wäre das Ergebnis eine Hutu-Herrschaft. Seit dem Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 würde dies kein Tutsi in Burundi akzeptieren. So müssen beide Gruppen sich die Macht auf anderem Wege teilen.

„Unser Land hat eine Zeit erlebt, in der niemand sagen durfte, ob er Hutu oder Tutsi ist. Aber das hat nicht verhindert, dass Hutu und Tutsi wegen ihrer Identität umgebracht wurden“, lobt Ndayizeye den Machtwechsel in einem Interview. „Wir müssen die Dinge beim Namen nennen und zusammenarbeiten.“

Kritiker fürchten demgegenüber, dass die Betonung von Hutu- und Tutsi-Identität genau den Geist des Rassismus und der wechselseitigen Ausgrenzung fördert, den Burundis Friedensprozess überwinden soll. Sie verweisen auf das benachbarte Ruanda, wo bis 1994 eine Diktatur von Hutu-Politikern regierte. Auf Personalausweisen stand „Hutu“ oder „Tutsi“, es gab für Tutsi im höheren Schulwesen eine Quote von neun Prozent. Als bewaffnete Tutsi-Gruppen die Macht des Staates herausforderten, organisierten die Machthaber an Ruandas Tutsi einen Völkermord.

Ruanda geht nach dieser Erfahrung einen anderen Weg als Burundi. Die neue Regierung nach dem Genozid von 1994 strich als eine ihrer ersten Amtshandlungen den Hutu/Tutsi-Vermerk aus den Personalausweisen und verbannte offiziell jeden Hinweis auf diese beiden Gruppen aus der Politik.

Und während in Burundi die Machtübergabe von einem Tutsi an einen Hutu als vorläufiger Höhepunkt des Friedensprozesses gefeiert wird, verabschiedete in Ruanda das Parlament letzten Mittwoch einen Verfassungsentwurf, der die Überwindung der Hutu-Tutsi-Spaltung festlegt. Die Präambel proklamiert den „Kampf gegen die Ideologie des Genozids und die Auslöschung ethnischer und regionaler Spaltungen“. Die Verfassung soll am 26. Mai per Referendum rechtskräftig werden und danach innerhalb von sechs Monaten als Grundlage für Ruandas erste freie Wahlen seit der Unabhängigkeit dienen.

Ein „neues Ruanda“ ohne Hutu und Tutsi? Kritiker in Ruanda sagen, unter dem Deckmantel der nationalen Einheit stärke die regierende, einst von Exil-Tutsi gegründete Ruandische Patriotische Front (RPF) ihre Macht. Allerdings sind zahlreiche Tutsi – vor allem Überlebende des Völkermords – mit der RPF unzufrieden, während die Regierungspartei durch Haftentlassungen vieler des Völkermords Verdächtiger und die Integration von Hutu-Milizionären in die Armee für Sympathie bei den Hutu-Bauern wirbt. Die politischen Reformen in Ruanda lassen politische Differenzen nicht verschwinden – aber sie heben sie aus dem traditionellen Hutu-Tutsi-Gegensatz heraus.

Allerdings scheint die Hoffnung auf ein „neues Burundi“ nicht weniger ambitioniert. Die Quotierung von Posten auf Regierungsebene ändert nichts daran, dass Staatsämter in Burundi oft der persönlichen Bereicherung dienen. Die Friedensregelung, so eine verbreitete Kritik, vereint Hutu- und Tutsi-Eliten in einer Kaste von Selbstbedienern.

Und während in Ruanda Frieden herrscht, findet Burundi nicht aus dem Krieg heraus. Burundis Hutu-Rebellen kämpfen trotz Friedensprozess weiter. Vergangene Woche nahmen sie Burundis Hauptstadt Bujumbura, die in Hutu- und Tutsi-Viertel geteilt ist, unter einen verheerenden Artilleriebeschuss. Eine Rakete, abgefeuert aus den Bergen rund um die Hauptstadt, schlug nur 80 Meter vom Abfertigungsgebäude des internationalen Flughafens ein. 50.000 Menschen flohen aus ihren Wohnvierteln ins Umland.

Es war eine Demonstration der Stärke, die unter Tutsi in der Hauptstadt die Furcht nährte, radikale Hutu wollten nach der Übernahme der Präsidentschaft den Staat endgültig zu Fall bringen. Bewohner Bujumburas berichten von Angst und Unsicherheit; jeglicher Optimismus sei verflogen.

Vielleicht liegt das aber nicht am Modell, sondern an dessen Umsetzung. Der neue Präsident Ndayizeye gilt als schwach, selbst gegenüber anderen führenden Hutu. Die Tutsi-Generäle werden seine Autorität vermutlich nicht akzeptieren und darauf drängen, dass er ihnen im Kampf gegen die Rebellen freie Hand lässt. In seiner Abschiedspressekonferenz vor einer Woche gab der scheidende Präsident Buyoya eine vernichtende Zukunftsprognose ab: Er gebe die Macht ab, erklärte er, damit niemand sagen könne, er sei schuld, falls der Frieden nicht kommt.