Agenda-Kritiker zeigen sich düpiert, aber optimistisch

Die Kritiker von Schröders Reformplänen reden einander nach der Abstimmungsniederlage im SPD-Parteivorstand Mut zu. Dem Angebot, mitreden zu dürfen, misstrauen sie

BERLIN taz ■ Am Ende hätten sie als eine Hand voll Aufrechter dastehen können. Doch nach der unverhohlenen Rücktrittsdrohung Gerhard Schröders und dem kurzfristig angesetzten Votum des Parteivorstandes zur „Agenda 2010“ auf der Sitzung am Montag waren sie nur zu viert. Weil Sigrid Skarpelis-Sperk, als Mitinitiatorin des Mitgliederbegehrens eine sichere Gegenstimme, im Griechenlandurlaub weilte, ließen sich die Agenda-Kritiker im SPD-Bundesvorstand an einer Hand abzählen. Und die wurde nicht einmal voll.

Wie Schröder, der sein politisches Schicksal in immer kürzeren Abständen mit der Reform verknüpft, gingen auch die Agenda-Kritiker gestern in die Offensive. Sie sehen in dem düpierenden Abstimmungsergebnis vom Montag keine Niederlage. Florian Pronold interpretierte die vier abweichenden Voten gar zu einem Sieg um. „Als der Parteivorstand erstmals über die Agenda abstimmte, waren es nur vier Gegenstimmen“, sagte er zur taz. Am Montag seien es zumindest theoretisch fünf plus vier Enthaltungen gewesen. Doch an der Rücktrittsdrohung Gerhard Schröders kommt auch er nicht vorbei. So blieb ihm gestern nur, das zu wiederholen, was dessen Kritiker seit Wochen versuchen: „Wir müssen jetzt die Inhalte in den Vordergrund rücken.“

Dieses Ziel jedoch lässt sich leichter formulieren als umsetzen. Vorstandsmitglied Andrea Nahles schwankt zwischen Hoffnung und Zweifel. Gestern überwog aber das gute Gefühl. Der Vorstand habe am Montag mit „großem Ernst“ diskutiert, begründete sie das. Und in dem Angebot, über Reformdetails in Arbeitsgruppen zu diskutieren, sieht sie eine „große Chance“. Nahles rechnet damit, dass die Agenda-Befürworter unter anderem neue Vorschläge in Sachen Arbeitslosengeld für Ältere vorlegen werden. In Sachen Tarifautonomie und der Angleichung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe hätten diese sich ja schon bewegt. Weit entfernt sei man aber von Kompromissen in der Steuer- und Finanzpolitik und bei der Gesundheitsreform, so Nahles. Beim Thema Krankengeld sieht ihr Vorstandskollege Ulrich Maurer den Kanzler sowieso in Zugzwang, weil auch die CSU angekündigt hat, gegen die private Vorsorge zu stimmen. „Das wäre ein Witz, wenn wir von denen links überholt werden“, sagte Maurer gestern zur taz. Insgesamt habe auch er das Gefühl, da bewege sich was.

Was genau, konnten gestern wohl wegen der vielen Gefühle weder Nahles noch Maurer sagen. Denn trotz Arbeitsgruppen und „einigen Friedensangeboten“, wie Ursula Engelen-Kefer es nannte, können sich die Agenda-Kritiker nicht auf viel berufen. Das Problem ist ihnen zumindest bewusst. Deshalb forderte Nahles gestern einen „konkreten Fahrplan“ für die Arbeitsgruppen. Auch Maurer gab sich misstrauisch: „Wir bleiben vorsichtig.“

Dazu haben die Agenda-Kritiker auch allen Grund. Denn die Abstimmung vom Montag war ein Überraschungscoup Schröders. Nachdem das Mitgliederbegehren bekannt geworden war, sah der Kanzler sich in die Defensive gedrängt. Die optimistische Ratlosigkeit seiner Gegner legt nahe, dass Schröder seit Montag wieder in die Offensive kommt. Zwar denkt Andrea Nahles, dass es eine Illusion sei, die Diskussion mit Rücktrittsdrohungen abwürgen zu können. Doch dass der Kanzler gepunktet hat, ist sicher. Deshalb wird es für die linken Reformkritiker Zeit, in Klausur zu gehen. Dass sie dies tun werden, davon sprach gestern Nils Annen. Am Wochenende werde es ein internes Treffen geben. Wer daran teilnehmen wird, sagte er nicht. MATTHIAS BRAUN