Gesperrte Arbeitslose

Immer mehr Erwerbslose werden Opfer der sogenannten Sperrzeit. Im Ruhrgebiet waren es im vergangenen Jahr über 27.000 Menschen

Wer Opfer einer Sperrzeit wird, bekommt drei Monate lang kein Geld mehr vom Arbeitsamt

VON ELLEN REGLITZ

Arbeitslose haben nichts mehr zu Lachen. In NRW verhängte die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2003 insgesamt 91.799 Sperrzeiten, etwa 27.000 davon im Ruhrgebiet. Das sind rund 25.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Die Tendenz ist steigend.

Wer Opfer einer Sperrzeit wird, bekommt drei Monate lang kein Geld mehr von der Bundesagentur für Arbeit, egal, ob er oder sie Arbeitslosengeld oder-hilfe bezieht. Wird zum wiederholten Mal eine Sperrzeit verhängt, werden die Zahlungen ganz eingestellt. Im letzten Jahr betraf das in NRW rund 1.500 Arbeitslose, etwa ein Drittel davon im Ruhrgebiet.

Als „zumutbar“ gelten bislang Jobs, bei denen der oder die Arbeitslose genauso viel verdient, wie ansonsten an Arbeitslosengeld oder -hilfe gezahlt würde. Das sind oft weniger als 600 Euro. Mit dem neuen Hartz-IV-Gesetz wird im kommenden Jahr fast jeder Job „zumutbar“, denn dann sinkt der Mindestlohn auf 30 Prozent unter dem jeweiligen Tariflohn oder den „ortsüblichen Lohn“.

Momentan sehen manche Arbeitslose gar keine Möglichkeit, einen als „zumutbar“ bezeichneten Job anzutreten. „Da gibt es gewisse Tricks“, sagt Reinhold Walden, Vorsitzender des Ver.di Erwerbslosenausschusses in Essen. So würden beispielsweise Mütter gerne in den Ferien zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, obwohl sie dann für ihre Kinder da sein müssten. „Oft werden Einladungen auch einfach sehr kurzfristig, also erst zwei bis drei Tage vor dem Termin, verschickt“, schildert Walden. Außerdem gäbe es das Gerücht, dass die Agenturen mit sogenannten Planzahlen arbeiteten, die eine bestimmte Anzahl von Sperrzeiten pro Jahr vorschrieben. Die Agentur für Arbeit verleiht ihrem Leitspruch „mehr fordern statt fördern“ entschieden Nachdruck.

„Der Aspekt des Forderns ist in den Vordergrund getreten“, bestätigt Georg Sondermann von der Oberhausener Agentur für Arbeit. Allerdings betont er, dass dabei keine Tricks angewendet würden. „Wer vorher seinen Urlaub anmeldet, bekommt für diesen Zeitraum auch keinen Termin zum Vorstellungsgespräch“, so Sondermann. Auch gäbe es keine Planzahlen, höchstens eine restriktive Geschäftspolitik. Die Agenturen seien von der Bundesregierung zu einer stärkeren Sachverhaltsaufklärung angehalten. Das bestätigt auch Bernd Köhler von der Agentur für Arbeit in Duisburg. „Man kann jederzeit einen neuen Termin mit dem Arbeitgeber vereinbaren“, so Köhler.

Reinhold Walden sieht die besondere Gefahr der Sperrzeiten-Politik in den gesamtgesellschaftlichen Folgen. „Wir müssen mit einem massiven Kaufkraftverlust rechnen“, so Walden. Denn wer unter dem Existenzminimum lebe, könne kaum noch konsumieren. Ihm sei klar, dass gespart werden müsse, er wendet jedoch ein: „Bei der letzten Steuerreform wurden den Unternehmen großartige Geldgeschenke gemacht, warum wird dort nicht gespart?“ Eine Erklärung hierfür wäre, dass sich Arbeitslose individuell als Einzelkämpfer gegen Ungerechtigkeiten zu Wehr setzen, statt sich in einer geschlossenen Gruppe zu organisieren.