Spätschäden durch Uranmunition

Bei KriegsveteranInnen, die im Golf und auf dem Balkan Uranmunition ausgesetzt waren, sind noch viele Jahre später Chromosomenschäden nachweisbar. Die Ergebnisse zeigen, dass in den Körpern immer noch Uran vorhanden sein muss

Die Strahlenquelle befindet sich noch in den Körpern der Kriegsveteranen

von GUDRUN FISCHER

„Die Studie ist klein, deswegen spreche ich gerne von einer Pilotstudie“, schränkt die Bremer Biologin Heike Schröder erst einmal ein. Dennoch sind die Ergebnisse alles andere als unbedeutend. Schröder ist verantwortliche Erstautorin einer Studie * über die Spätfolgen des Einsatzes von „Uranmunition“. Die ForscherInnen weisen nach, dass Golf- und Balkankriegsveteranen genetische Schäden durch Uranstrahlen erlitten haben und dass dieses Uran sich noch immer in ihren Körpern befindet.

In ihrer Veröffentlichung erklären die AutorInnen, dass sie 5,2 Mal so häufig Chromosomenbrüche in den Blutproben der KriegsveteranInnen im Vergleich zur Kontrollgruppe gefunden haben. Heike Schröder und ihre Kollegin Anna Heimers untersuchten die Leukozyten im Blut von 16 KriegsveteranInnen, 14 Männer und zwei Frauen aus Großbritannien. Dreizehn von ihnen hatten 1991 am Golfkrieg teilgenommen, zwei am Balkankrieg und einer an beiden Kriegen. Pro Person wurden von den beiden Wissenschaftlerinnen 1.000 Leukozyten lichtmikroskopisch untersucht. Etwa 25 hatten Schäden. Bei der gesunden Kontrollgruppe waren nur fünf beschädigt.

„Anfang 2001 ging durch die Presse, dass abgereichertes Uran im Golfkrieg und im Balkankrieg eingesetzt worden ist“, erklärt Heike Schröder, wie sie zu dem Thema kam. „Meine Spezialisierung ist dichtionisierende Strahlung. Dazu gehört der Alpha-Strahler Uran. Ich hatte ein starkes Interesse, der Uranmunition nachzugehen.“ Schröder schrieb an den Bundeswehrverband, stellte die Methode vor, um auf die Untersuchungsmöglichkeit von zurückgekehrten BalkankriegssoldatInnen aufmerksam zu machen. Sie bekam keine Antwort. Sie schrieb an den „Verband Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW) und wies auf die Methode der so genannten Chromosomenabbrationsanalyse hin, die seit den Siebzigerjahren validiert ist.

Seit ihrem Hinweis wird von der Gesellschaft für Strahlenschutz empfohlen, nicht nur den Urin von zurückgekehrten SoldatInnen auf abgereichertes Uran (DU) zu untersuchen, sondern auch die Chromosomenabbrationsanalyse durchzuführen.

Als Reaktion auf ihren Hinweis an den IPPNW erhielt sie eine Anfrage von Professor Albrecht Schott aus Berlin. Er habe Kontakte zu einer britischen Kriegsveteranenorganisation und schlug vor, die ExsoldatInnen um Blutproben zu bitten. Daraufhin bildete sich an der Uni Bremen, am Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie (UFT), eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Professoren Rainer Frentzel-Beyme und Wolfgang Hoffmann. Das Forscherteam bekam die anonymisierten Blutproben der britischen KriegsveteranInnen, die zwischen 29 und 54 Jahren alt sind.

Von staatlichen Stellen wird bis heute eine andauernde DU-Kontamination von SoldatInnen zurückgewiesen. Es wird behauptet, abgereichertes Uran sei wasserlöslich, würde also ein paar Tage nach der Kontamination wieder über den Urin aus dem Körper ausgeschieden.

Das bezweifelt die Arbeitsgruppe unter Hoffmann und Frentzel-Beyme. „Wenn wir eine Wasserlöslichkeit des Urans annehmen, macht das die Untersuchungsergebnisse, die wir erhoben haben, nicht plausibel“, wendet Heike Schröder ein. „Unter der Annahme einer kurzzeitigen Exposition während des Golfkrieges hätte unsere Untersuchung mehr als zehn Jahre später keine chromosomalen Veränderungen mehr zeigen dürfen. Denn die Lebensdauer von Lymphozyten, die wir untersucht haben, ist auf 3,5 Jahre begrenzt. Daher muss abgeleitet werden, dass sich die DU-Strahlenquelle noch in den Körpern der Kriegsveteranen befindet.“ Schröder nimmt an, dass nur ein Teil des Urans wasserlöslich ist und mit dem Urin wieder ausgeschieden wird. Auch dieses Uran ist gesundheitsschädlich: Es verursacht Nierenschäden.

Bisher hat die US-Regierung, die von Veteranenverbänden auf die Anerkennung des Golfkriegssyndroms bedrängt wird, sich zwar auf die Zahlung von Renten an die über 100.000 arbeitsunfähigen ExsoldatInnen eingelassen (von zirka 700.000 SoldatInnen im Golfkrieg 1991). Sie will aber unter keinen Umständen zugeben, was die Faktoren für die Symptome der VeteranInnen – Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, sexuelle Unlust, Gedächtnisverlust, Gelenkschmerzen – sind. Sie führt an, dass neben Giftgas, Rauch von brennenden Ölfeldern, Impfungen und Pestiziden der Stress und die Angst der SoldatInnen vor Giftgas das Golfkriegssyndrom verursachten.

Gegen diese Argumente kontert Schröder: „Die Untersuchungsergebnisse, die wir haben, sind strahlentypisch. Es gibt wenig Noxen, die chromosomale Schäden verursachen können. Wenn die ausgeschlossen werden können, dann sind die Ergebnisse als strahlenspezifisch anzusehen“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Sie und ihre Kollegin Heimers legten zunächst von dem Blut Zellkulturen an, die sie dann in der Metaphase anhielten. „Einige Chromosomen der Leukozyten in der Metaphase zeigen im Lichtmikroskop dizentrische Chromosomen und zentrische Ringchromosomen.“ Das sind falsch reparierte Chromosomenbrüche, die aus Doppelstrangbrüchen hervorgegangen sind.

Da ein Lymphozyt nach etwa dreieinhalb Jahren abstirbt, bleiben die Chromosomenschäden darin nicht für immer im Körper. Trotzdem können diese erhöhten Bruchereignisse eine erhöhte Krebsrate zur Folge haben. Und in der Tat: Krebs und die Geburt fehlgebildeter Kinder haben im Südirak in den letzten Jahren auffallend zugenommen.

„Eine ganzen Weile haben wir gedacht, dass wir die ersten waren, die diese Chromosomenuntersuchungen mit Kriegsveteranen durchgeführt haben. Doch vor kurzem entdeckte ich, dass Melissa McDiarmid aus den USA, die im Rahmen der AFRRI-Programms (Armed Forces Radiobiology Research Institute) in Baltimore, Maryland arbeitet, SoldatInnen untersucht hat, die immer noch DU-Splitter im Körper haben, Ergebnis eines friendly fires.“ Die Chromosomenuntersuchungen von McDiarmid geben noch weit höhere Werte an, als die Ergebnisse von Schröder. Dreißigmal so oft wie die nicht kranke Bremer Gruppe hatten diese KriegsveteranInnen Chromosomenbrüche. Als sich Schröder mit McDiarmid in Verbindung setzte, um Genaueres über ihre Studie zu erfahren, bedauerte diese, ihr keine weiteren Informationen geben zu können.

Eine weitere Forschungsgruppe unter Alexandra Miller aus den USA hat in vitro Zellkulturen mit abgereichertem Uran belastet. Miller ist Radiobiologin am AFRRI in Bethesda, Maryland. Auch sie hat Chromosomenschäden beobachtet, dazu karzinogene Veränderungen. In zwei anderen Arbeitsgruppen ist im Tierversuch in die Beinmuskeln von Ratten abgereichertes Uran implantiert worden. Nach dem Tod der Ratten wurden Spuren des Urans nicht nur in den Lymphknoten, sondern in den Gehirnen der Ratten gefunden. Das war unerwartet, denn niemand hätte gedacht, dass das abgereicherte Uran die Bluthirnschranke überwinden könnte.

In letzter Zeit ist eine Wende in der Anerkennung des Golfkriegssyndroms und der Gefahr der DU-Munition eingetreten. Das US-Militär erhob im diesjährigen Irakkrieg laufend Daten über die Gesundheit der SoldatInnen und die Bedingungen im Kampfgebiet. Die britische Regierung bietet zurückkehrenden SoldatInnen aus dem diesjährigen Irakkrieg Urinuntersuchungen an, um festzustellen, ob sie höheren Dosen des abgereicherten Urans ausgesetzt waren.

In Deutschland dagegen war das Thema Uranmunition vor ein paar Jahren ruck, zuck vom Tisch. Die Gesellschaft für Strahlenforschung in München hatte Urinuntersuchungen von Soldaten nach ihrer Rückkehr aus dem Balkankrieg gemacht, das Ergebnis war negativ. Kommentar von Heike Schröder: „Wenn nichts im Urin ist, dann ist meiner Meinung nach der Umkehrschluss, dass kein Uran im Körper wäre, unzulässig.“

* Die Studie ist veröffentlicht in Radiation Protection Dosimetry, März 2003