Ein Graf schnappt Luft

„Die Ladung im vorderen Turm kann noch funktionieren“, warnt Offizier Rasenack

AUS MONTEVIDEO INGO MALCHER

Normalerweise ist der Río de la Plata im Februar so platt wie eine Autobahn. Nur in diesem Jahr lässt der uruguayische Sommer Alfredo Etchegaray im Stich. Eine blaue Aktenmappe unter den Arm geklemmt, steht er am Fenster der Hafenverwaltung von Montevideo und schaut auf den Fluss. Kleine Wellen schütteln das braune Wasser, weiße Schaumkronen haben sich auf ihre Kämme gesetzt. „Geduld“, ermahnt er sich, „große Taten brauchen Geduld.“

Etchegaray glaubt sich in bedeutender Mission: Der Unternehmer will das im Zweiten Weltkrieg vor Montevideo gesunkene deutsche Panzerschiff „Admiral Graf Spee“ vom Grund des Río de la Plata heben – es geht ihm dabei mehr ums Geschäft und weniger um die Geschichte. Doch obwohl die „Graf Spee“ in nur sieben Meter Tiefe liegt, ist ihre Bergung ein Mammutunternehmen. Unter Wasser können die Taucher im trüben Fluss oft nur drei Meter weit sehen, Fischernetze stellen ihnen tödliche Fallen und die starke Strömung droht sie an manchen Tagen auf den Atlantik hinauszuziehen.

Etchegaray sitzt zur Mittagszeit in einem der Restaurants in der alten Markthalle des Hafens von Montevideo. Der Kellner begrüßt ihn mit Handschlag. „Mich kennen hier alle“, sagt er zufrieden. Dreimal die Woche geht seine Fernsehshow über den Sender, und mehrmals täglich ist er im Radio zu hören. Er bestellt ein Steak, das Fleisch blutig und mit Knochen. Er sagt: „Ich erfinde Sätze, die berühmt werden.“ Etwa: „Es ist nicht so schwierig, zu einer Frau Ja zu sagen, schwieriger ist es, zu all den anderen Nein zu sagen.“

Sonst interessiert sich Etchegaray wenig für Windgeschwindigkeit und Wellenhöhe. Nur im Nebenberuf ist er Wrackretter. Im richtigen Leben ist er Uruguays bedeutendster Partyunternehmer. In dem exklusiven Badeort Punta del Este organisiert Etchegaray die Feiern des Jetsets. Er sorgt sich dabei um alles: von der passenden Mineralwassermarke bis zur richtigen Gästeliste. In seinem Adressbuch stehen die Telefonnummern der Reichen und Wichtigen Südamerikas. Im Sommer holt er sie zu den Modeschauen nach Punta del Este, im Herbst zu den Araber-Hengst-Messen. Aus einem Umschlag zieht er einen Stapel Fotos, er hat sie extra mitgebracht. Sie zeigen Etchegaray auf seinen Partys mit Sting, Etschegaray mit Pele, Etchegara mit Pavarotti, Etchegaray mit Antonio Banderas.

Etchegaray ist ein Spieler. Das Graf-Spee-Projekt ist für ihn eine Wette mit offenem Ausgang. Geht alles glatt, macht er damit Geld und sammelt Ruhm. Bleibt das Wrack unter Wasser, verliert er Geld. Das ganze Schiff will er bergen, nicht nur einzelne Teile. Dann sollen Horden von Touristen nach Uruguay kommen und Eintritt bezahlen. Ein Wallfahrtsort für Weltkriegsromantiker, Waffennnarren und Modellkriegsschiffbauer? Er ist so vernarrt in seine Idee, dass ihr Sinn immer mehr verschwimmt.

Aber Etchegaray denkt eben in großen Dimensionen. Sein Ururgroßvater war Präsident Uruguays, sein Großvater hat im Jahr 1904 den Frieden zwischen Colorados und Blancos ausgehandelt, noch immer sind es auf Landesebene die beiden wichtigsten Parteien. Seit Generationen lebt die Familie von der Rinderzucht, sie hat mehrere Farmen.

Dann klingelt das Telefon. Ein Radiosender ist dran. Etchegaray hat immer Zeit. Er legt los: „Guten Tag, verehrte Hörer, Punta del Este ist heute morgen mit herrlichem Sonnenschein erwacht, und am Wochenende war wieder sehr viel los. Im Hotel Conrad wurde die Miss Playboy gewählt. Gute Frauen waren dabei, keine litt unter Anorexie, alle hatten Kurven, aber ich musste weiter, denn es gab noch mehr zu machen.“ Er spricht, schnell und laut, er ist sehr flink mit dem Mundwerk. Er mag, was er sagt.

Sein Partner Héctor Bado ist das genaue Gegenteil. Er ist der technische Leiter des Graf-Spee-Projekts und ein Berufsabenteurer. Er spricht nicht gern, mag keinen Rummel um seine Person. Bado ist 45 Jahre alt und hat in seinem Leben 176 Schiffe vor der uruguayische Küste gefunden. An der Bergung von Lord Nelsons „Agamemnon“ vor einigen Jahren war er maßgeblich beteiligt. Bado ist Seemann, Etchegaray Lebemann. Purer Pragmatismus hält beide zusammen. Etchegaray zahlt, Bado taucht.

Doch ihre Partnerschaft begann mit einer Serie von Pech und Pannen. Dabei hatte Bado alles sorgfältig vorbereitet. Er hat die Seekarten studiert, er hat sich aus dem deutschen Bundesarchiv die Baupläne der „Graf Spee“ bringen lassen, er hat das Wrack unter Wasser mit GPS vermessen. „Wir wissen genau, wo welche Schraube liegt“, sagt er. Unter Wasser hat er mit seinem Team Stahlseile am Telemeter der „Graf Spee“ angebracht. Das Gerät ist zwölf Meter lang, mehrere Tonnen schwer, gefertigt aus Kruppstahl und versehen mit Carl-Zeiss-Optik. Im Falle des Gefechts wurden damit die Geschütze eingestellt.

Nur das Wetter hat die Bergung des Telemeters immer wieder verhindert. Beim ersten Versuch vor wenigen Wochen fegte der Wind über den Río de la Plata, der Seekran kam ins Wanken. Allein sein Haken wiegt über 30 Tonnen. Bewegt er sich unter Wasser, besteht für die Taucher Lebensgefahr. Beim zweiten Versuch trieb die Strömung den Kran Richtung Atlantik, ehe die Seile rissen. „Einen solchen Sommer“, stöhnt Bado, „hat Uruguay noch nicht erlebt.“

Schon als Jugendlicher war es sein Traum, nach der „Graf Spee“ zu tauchen. Nicht nur für ihn ist das Schiff ein Mythos. Als die „Graf Spee“ am 13. Dezember 1939 in den Hafen von Montevideo einlief, kam der Zweite Weltkrieg nach Uruguay. Der deutsche Panzerkreuzer war dazu abkommandiert worden, britische Frachter im Südatlantik zu versenken. Die Nazis wollten den Briten den Nachschub abschneiden. In den ersten vier Monaten des Zweiten Weltkriegs hatte der Graf-Spee-Kapitän Hans Langsdorff neun britische Frachter versenkt. Doch vor Punta del Este stellten ihn drei britische Kriegsschiffe, es kam zur ersten Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs. Schwer angeschlagen musste Langsdorff den Hafen von Montevideo anlaufen, um sein Schiff zu reparieren. Doch im neutralen Uruguay lieferten sich Deutschland und Großbritannien ein diplomatisches Tauziehen.

„Ich habe im Gesicht ein großes Ja stehen, man muss nur wollen“, sagt Alfredo Etchegaray

Nach 72 Stunden am Pier musste die „Graf Spee“ auf Druck des britischen Botschafters auslaufen. Doch das Schiff war in der Falle. An der Río-de-la-Plata-Mündung warteten drei britische Zerstörer auf den Panzerkreuzer. Ein Gefecht hätte den sicheren Tod der Besatzung bedeutet. Trotzdem hoffte Hitler im fernen Berlin, Langsdorff würde es darauf ankommen lassen.

Am Morgen des 17. Dezember 1939 machte die „Graf Spee“ die Leinen los und verließ den Hafen von Montevideo. Tausende von Schaulustigen standen an der Kaimauer, als das Schiff auslief. Acht Kilometer vor der Küste erstarben die Motoren. Die Mannschaft stieg in die Rettungsboote. Exakt um acht Uhr Abends detonierten mit einem lauten Schlag an Bord des Kriegsschiffes mehrere Sprengsätze. Langsdorff hatte sie legen lassen, damit das Schiff nicht in die Hände der Briten fällt. Die „Graf Spee“ sank brennend vor Montevideo. Ihr Wrack ist heute in die Seekarten eingezeichnet, und bei Ebbe ragt der Mast einige Zentimeter aus dem Wasser heraus.

Die erste Etappe haben Etchegaray und Bado hinter sich. Mit dem am Mittwoch gehobenen Telemeter wollen sie dann Sponsoren und Investoren an Land ziehen. 2 bis 10 Millionen Dollar kostet die Bergung des gesamten Schiffs, rechnet Etchegaray vor. Er selbst hat bislang 25.000 Dollar in das Projekt gesteckt, als Anschubinvestition. „McDonnald’s hat auch mit einem Hamburger angefangen, und wie viele verkaufen sie heute?“, sagt er. Doch wer soll sie fehlenden Millionen zuschießen? Man kann der Ansicht sein, dass der Meeresgrund für ein Nazi-Schiff kein unpassender Ort ist. An Land drohte der Handelszerstörer zur Pilgerstätte für alte und neue Nazis zu werden, ein Freilichtmuseum für Ewiggestrige.

Selbst die einstige Besatzung beäugt Etchegarays Treiben mit Skepsis. Der Offizier Friedrich Wilhelm Rasenack hat die „Graf Spee“ damals gesprengt – und will nichts von ihrer Bergung wissen. Rasenack ist heute fast 80 Jahre alt und lebt in Argentinien in der Provinz Córdoba. „Ich bin ganz dagegen, dass man sie jetzt rausholt“, sagt er. Im Übrigen könnte der Versuch gefährlich sein. An jenem 17. Dezember 1939 hat Rasenack sechs zeitversetzte Sprengkreise mit einem Torpedokopf und einer Handgranate gelegt. Doch nur fünf davon sind explodiert. „Die Ladung im vorderen Turm kann immer noch funktionieren“, meint er. Damals sollte das Schiff nicht in die Hände der Briten fallen. Und jetzt soll es nicht in die Hände eines Geschäftemachers fallen. „Der will damit nur Geld verdienen“, raunt Rasenack und hofft, dass Etchegaray das Geld für die komplette Bergung nicht zusammenkriegt.

Ein Gedanke der Etchegaray fremd ist. „Geduld, mit Geduld werden wir es schon schaffen“, sagt er. Etchegay kennt keine Zweifel. „Ich habe in meinem Gesicht ein großes Ja stehen, man muss nur wollen“, glaubt er. Sonst hätte er es auch nicht ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft: für eine 34.000 Kilometer lange Jeeptour von Alaska bis Feuerland.