Holpriger Grenzverkehr

Um Schüler an den Landesgrenzen tobt der finanzielle Kleinkrieg. Jetzt soll das Bundesverfassungsgericht die Klage einer Bremer Privatschule überprüfen und Klarheit schaffen

von KLAUS WOLSCHNER

Das Bundesverfassungsgericht muss mal wieder einspringen, wo die Politik versagt: „Gastschüler“ ist das Stichwort. Es ist für eine 19-Jährige aus dem niedersächsischen Brinkum, die fünf Minuten zu Fuß von der bremischen Landesgrenze entfernt wohnt, leichter, einen Studienplatz in Frankreich zu bekommen, als für ihren sechsjährigen Bruder, einen Platz in einer Schule in Bremen zu ergattern. Die Bundesländer haben die bildungspolitischen Grenzen ganz hoch gezogen. Nun hoffen die betroffenen Schulen bundesweit auf eine Klage der Freien Evangelischen Bekenntnisschule Bremens vor dem Bundesverfassungsgericht.

Mit einer großen Fahrrad-Demonstration von Lübeck nach Karlsruhe hat die Freie Waldorfschule Lübeck gerade auf das Problem aufmerksam gemacht. Anlass der Aktion ist die „Landeskinderklausel“ von Schleswig-Holstein. Die Waldorfschule liegt nahe an der Landesgrenze, seit der Öffnung der Grenze werden viele Kinder aus Mecklenburg-Vorpommern in der Privatschule angemeldet. Und an der Grenze ist auf mecklenburgischem Gebiet eine neue Siedlung entstanden, in die viele junge Lübecker Familien eingezogen sind, die ihre Kinder weiter in Lübeck zur Schule schicken wollen. Zwischen 50 und 60 Prozent der Kosten für die Schüler in Privatschulen trägt das Land – Schleswig-Holstein hat 1997 diese Zahlungen aufgekündigt für alle Schüler, die keine „Landeskinder“ sind, Ende 2002 sind auch die letzten Übergangsregelungen ausgelaufen. Ein Gastschulabkommen, wie es beispielsweise zwischen Kiel und Hamburg besteht, könnte die Finanzierungsfrage klären. Doch „Mecklenburg-Vorpommern weigert sich, ein solches Abkommen mit uns abzuschließen, weil es dann zahlen müsste“, sagt die Sprecherin der Kieler Kulturministerin Ute Erdsiek-Rave. „Das ist die Konsequenz.“

Schwerin war daher die erste Etappe der Demonstration. Aber an anderen Landesgrenzen gibt es dieselben Probleme, deshalb wollen die Waldorfianer sich mit einer Petition an die Kultusministerkonferenz wenden, den Länderstreit doch bitte nicht länger auf dem Rücken der Eltern auszutragen. Von den 560 Schülern der Lübecker Waldorf-Schule kommen 81 aus Mecklenburg-Vorpommern, die Streichung der Zahlungen ist also existenzbedrohend für die seit 25 Jahren bestehende Privatschule.

Warten aufs Verfassungsgericht

Die Schule führt einen Rechtsstreit gegen das Kultusministerium des Landes Schleswig-Holstein, der ruht jedoch mit Hinweis auf das Verfahren, das bereits die Freie Evangelische Bekenntnisschule Bremen gegen das Land Bremen angestrengt hat. „Wir haben seit 1997 alle Stationen durchgemacht“, sagt der Sprecher der Schule, Ulrich Berlin: Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht. Keine Instanz wollte die Frage entscheiden, ob das Recht auf freie Schulwahl der Eltern wichtiger ist als die Konkurrenz der Bundesländer an ihren Grenzen.

Das Thema wurde an das Verfassungsgericht verwiesen, für dieses Jahr haben die obersten Richter einen Beschluss angekündigt, wann genau, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Und so warten die Bremer und die Lübecker und alle anderen Privatschulen, während der Poker um das Geld im vollen Gange ist. „Wir haben deshalb ein Darlehen bei der Gemeinschaftsbank e.G. (GLS) beantragt, um wenigstens die Zeit bis zum Ausgang des Rechtsstreites überbrücken zu können“, erklärt die Lübecker Waldorfschule.

Das Land Niedersachsen hatte für die Bremer Privatschulen nicht so lange Übergangsfristen eingeräumt. Im Jahre 1996 kamen 25 Prozent der Schüler der Bremer Bekenntnisschule aus Niedersachsen, das waren ca. 260, heute sind es weniger als 100. Für einige gilt die „Geschwisterkinder“- Regelung, die einzige Übergangs-Klausel, für andere macht das Institut im Rahmen seines eigenen Auftrages als evangelische Bekenntnisschule eine Ausnahme. Nur für die private Sonderschule „Tobiasschule“ zahlt Niedersachsen – weil ein eigenes Angebot nicht vorhanden ist.

„Es gibt ein paar Bereiche, da könnte Niederachsen fairer agieren, etwa beim Privatschulgeld. Da hat Niedersachsen sehr kleinkariert Verträge gekündigt“, hat der neue Ministerpräsident Christian Wulff einmal die fehlende grenzüberschreitende Kooperation kritisiert – vor der Wahl. Nach der Wahl stellt seine Kultusbehörde fest: Regelungen der sozialdemokratischen Vorgänger-Regierung werden nicht angetastet, wenn das mehr Geld kosten könnte.

Hamburg und Kiel verhandeln noch

Im staatlichen Bereich findet der Kleinkrieg an der Landesgrenze genauso statt. In Hamburger allgemein bildende Schulen gehen etwa 2000 Schüler aus Schleswig-Holstein, weitere 1200 besuchen Privatschulen. Geregelt wird dies seit 1963 durch ein „Gastschüler“-Abkommen zwischen den Ländern, die Summen werden alle fünf Jahre neu verhandelt. Im Juli 2002 verkündete die Schleswig-Holsteinische Landesregierung, die jährlich in die Hansestadt fließenden 3,9 Millionen Euro sollten nun ganz eingespart werden. Im September verkündete Hamburgs Bildungssenator Rudolf Lange (FDP), er habe eine neue Einnahmequelle für die Löcher in seinem Haushalt entdeckt: Drei Millionen Euro zusätzlich müssten durch das Gastschülerabkommen mit Schleswig-Holstein mehr in die Kasse kommen, weil die alte Summe die Kosten bei weitem nicht decke.

Hintergrund dieses Pokers in der Öffentlichkeit sind vertrauliche Verhandlungen: Ende 2002 lief die Vereinbarung über den finanziellen Transfer aus Schleswig-Holstein aus. Und die Verhandlungen über die neue Summer laufen noch. Der Sprecher des Hamburger Bildungssenators meint: „Es gibt sehr konstruktive Gespräche.“