das wort zum sonnabend
: Fallstudien mit Schulterteufel

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein Berlin. Zur Zeit Hausautor am Bremer Theater, holt er für die taz samstags Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Gerade weihe ich mein neues Adressbüchlein ein und stoße natürlich sofort auf Schwierigkeiten. Sortiere ich die Einträge nach Vor- oder Nachnamen, oder entscheide ich das von Fall zu Fall? Anders gefragt: Sollen die privaten Einträge dominieren oder die beruflichen? Welches die persönlichere Variante wäre und welches die professionellere, erklärt sich von selbst, und nach kurzer, wenngleich bodenloser Lähmung, zeige ich meinem konsequenzsüchtigen Schulterteufel den imaginären Stinkefinger und entscheide mich, wie schon intuitiv vermutet, für die Fall-zu-Fall-Variante.

Nächstes Problem: Wie viele Zeilen räume ich meinen Mandanten-Querulanten jeweils ein? Mit den Alternativadressen und -telefonnummern bin ich im Extremfall schnell bei fünf Zeilen: zu Hause, auf der Arbeit, bei den Eltern, beim Lebensabschnittsbla und das jeweils auf Festnetz und mobil, zusätzlich die Emailadresse und manchmal sogar die Kontoverbindung. Hier macht sich meine krepelige Popelschrift bezahlt: Platz sparen. Halte ich also jedem die fünf Zeilen frei, oder entscheide ich von Fall zu Fall? Von Fall zu Fall natürlich, Konsequenz in der Inkonsequenz. Und was von beidem ist programmatisch gemeint? Beides natürlich!

Also raune ich mir kassandragleich düstere Prophezeiungen zu: R. wird seine Eltern nicht mehr häufig besuchen. Frau K. wird sich kein Handy mehr kaufen. R. bleibt bestimmt noch länger solo. Und von C. habe ich nur deswegen die Adresse von ihren Eltern und ihrem Bruder, weil wir noch nicht wissen, wem ich morgen den Wohnungsschlüssel bringe.

Das Drama, welcher Stift angemessen ist, Kugelschreiber, Füller oder Bleistift, entscheidet sich überraschend schnell zu Gunsten des vergänglicheren Bleistiftes. Wenn schon Retro, dann richtig. Zwischendrin habe ich die Phantasie, ich könnte ja auch dünne Computerschnipsel ausdrucken und die mit einer leichten Schicht Prittstift einkleben, um Aktualisierungen vollkommen spurlos vollziehen zu können. Aber dann könnte ich auch gleich eines von diesen elektronischen Dingern kaufen.

Gleich beim fünften Eintrag vertue ich mich und nehme die veraltete Adresse von J. auf. Schwermütig genieße ich die Unregelmäßigkeiten, ja, Ungerechtigkeiten des Alphabetes: bei K. schon sechs Einträge, bei A. und O. noch kein einziger. Überhaupt hätte ich das Büchlein in Deutschland kaufen sollen: Q hat so viele Seiten wie S, und J. ist K. zugeorndet und nicht I. Und wahrscheinlich habe ich meine Freundin Y. trotz Funkstille nur so viele Jahre mitgeschleift, weil es sonst ganz leer wäre bei XYZ.

Kristo Šagor