Das Kreuz mit dem Ökostrom

Das Wachstum basiert kaum auf Nachfrage. Obwohl sich in Umfragen eine Mehrzahl der Deutschen für Ökostrom ausspricht, hat im sechsten Jahr nach der Marktöffnung noch nicht einmal ein halbes Prozent der Kunden den Stromanbieter gewechselt

„Guten Abend, mein Name ist Lührs, und ich komme von der Lichtblick AG – wir verkaufen umweltfreundlichen Strom.“ Solch eine unerwartete Begegnung der freundlichen Art an der eigenen Wohnungstür ist in jüngster Zeit keine Ausnahme mehr. Besonders in Hamburg und Berlin wird der Kampf um Stromkunden mit immer härteren Bandagen geführt. Spätestens wenn am selben Abend noch eine fahrende Werbetafel mit der Aufschrift „Yello Strom hat die Preise nicht erhöht“ am Fenster vorbeizockelt, ist dem umworbenen Kunden klar: Der deutsche Strommarkt ist in Bewegung. Nur, was tun? Trotz aller Werbung wissen die meisten diese Frage nicht zu beantworten. Ökostrom oder Billigstrom? Die Mehrzahl der Verbraucher schließt verwirrt die Wohnungstür und entscheidet sich einfach, nichts zu tun.

Besonders betroffen von dieser Passivität sind die Anbieter von so genanntem „grünen Strom“ aus regenerativen Energiequellen. Denn obwohl sich in Umfragen eine Mehrzahl der Deutschen für Ökostrom ausspricht, ist im Jahr sechs nach der Marktöffnung noch nicht einmal ein halbes Prozent der Kunden zu Anbietern von Ökostrom gewechselt. Angesichts immer neuer Meldungen über einen angeblichen „Ökostrom-Boom“ muss diese Zahl zunächst verwirren. Schließlich wurde nach Angaben des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) 2001 fast drei Viertel mehr grüner Strom produziert als im Jahr davor. Und nach Angaben des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) ist allein der deutsche Windstrommarkt im vergangenen Jahr um 20 Prozent neu installierte Leistung gewachsen.

Tatsache ist, dass die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geregelte Zwangsabnahme von ökologisch produziertem Strom durch die Energieversorgungsunternehmen dazu geführt hat, dass immer mehr Strom aus regenerativen Quellen erzeugt wird. Beobachter übersehen dabei jedoch häufig, dass sich dieses dynamisch wachsende Angebot auf der Nachfrageseite nicht widerspiegelt: Laut VDEW bezieht heute nur jeder 150. deutsche Haushalt seinen Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind oder Wasserkraft. Dabei könnte der Markt 50-mal größer sein, schätzt der Verband. Im Untersuchungsjahr seien immerhin 36 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom aus regenerativer Energie erzeugt worden. Die 300.000 Ökostromkunden nahmen in dieser Zeit jedoch lediglich rund 700 Millionen kWh grünen Strom ab. Unwissentlich beziehen immer mehr Verbraucher naturverträgliche Energie. Trotzdem zahlen nur wenige die höheren Tarife der Ökostromer.

Lothar Block vom Berliner Energieversorger Bewag fasst das Dilemma zusammen: „Auch wenn Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Kunden die Umwelt schonen wollen, liegt der Anteil derer, die dafür auch mehr bezahlen wollen, bei unter einem Prozent.“ Große Versorger bieten folglich selbst gar keine echten Ökostromtarife an, sondern setzen auf Mischungen wie „Mix Power“, die auch Atom- oder Kohlestrom enthalten. „Das Interesse an Ökostrom ist sehr verhalten“, bestätigt Dirk Ommeln, Sprecher der Energie Baden-Württemberg (EnBW), die ihren wenig gefragten „Umwelttarif“ auf ihrer Internetseite erst gar nicht feil bieten.

Immerhin haben nach Studien des Marktbeobachters Greenprices ein Viertel der Versorger mindestens ein grünes Stromprodukt im Angebot, insgesamt beabsichtigen 80 Prozent der Versorger, ein grünes Produkt anzubieten. Auch die „Großen“ offerieren über ihre Beteiligungen, etwa an Stadtwerken, verschiedene Tarife für mehr oder weniger grünen Strom. Doch Angebot erzeugt nicht notwendigerweise Nachfrage, und für die meisten Anbieter haben sich die Erwartungen aus dem Jahr 1998 nicht erfüllt. „Damals gab es ja irre Prognosen“, weiß Ann-Christin Mengs vom Hamburger Ökostromanbieter Lichtblick zu berichten. „Die Marktforscher gingen damals davon aus, dass jeder, den man anspricht, gleich wechseln möchte.“

Eine krasse Fehlkalkulation. Bewag-Manager Block erinnert sich: „Als wir im November 1999 den ÖkoPur-Tarif mit massiver Werbung an den Markt gebracht haben, haben wir in kurzer Zeit 6.000 Kunden akquiriert.“ Bald darauf stagnierte das Geschäft – trotz Werbekampagnen. Auch beim Düsseldorfer Ökostrom-Anbieter Naturstrom, der derzeit 11.500 Privatabnehmer hat, geht es „nur zäh voran“, wie der Vertriebsleiter Oliver Hummel berichtet. „Anfangs war das Wachstum sehr stark, aber das Potenzial ist begrenzt“, analysiert er. Ein wenig besser läuft es beim Mitbewerber Lichtblick, der seit 1998 bereits 80.000 Kunden gewinnen konnte. „Der Anstieg ist kontinuierlich“, sagt Mengs. Insgesamt sei die Wechselquote aber eher „traurig“.

Das soll sich bald ändern: Nachdem im April die Verbändevereinbarung für den Gasmarkt scheiterte und Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) bereits zuvor die Einführung einer Aufsichtsbehörde für den Energiemarkt angekündigt hatte, wittern die Ökostrom-Anbieter noch einmal Morgenluft. Bislang ist Deutschland das einzige EU-Land ohne eine solche Behörde. Die Grünstrom-Produzenten erhoffen sich nun von der neuen Regulierungsstelle eine Senkung der Durchleitungsgebühren. Sie teilen größtenteils die Ansicht von Edda Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, die die „missbräuchlich überzogenen Nutzungsentgelte“ der Stromnetzbetreiber dafür verantwortlich macht, dass Ökostromproduzenten ihr Produkt nicht zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können.

Ob die Marktöffnung die Wechsel-Trägheit der Kunden allerdings durchbrechen kann, scheint fraglich. VDEW-Daten zeigen, dass die durchschnittliche Stromrechnung eines Drei-Personen-Haushaltes im vergangenen Jahr um zwölf Prozent gestiegen ist. Vorher hatten die großen Versorger einen Wechsel durch Nachlässe jahrelang unattraktiv gemacht. Nun aber hoben selbst erklärte Billigheimer wie Yello die Preise an – ohne dass sich damit die Quote der Strom-Wechsler nennenswert erhöht hätte. Ann-Christin Mengs von Lichtblick hält dafür eine entwaffnend simple Erklärung bereit: „Strom ist eben einfach unsexy.“ Da die Ausgaben für Elektrizität im Schnitt nur 1,5 Prozent der Haushaltsausgaben einer Familie ausmachen, haben die meisten Kunden offenbar weiterhin die Einstellung, die der „Naturstrom“-Verkäufer Hummel beobachtet hat: „Der Strom kommt eben aus der Steckdose. Fertig.“ HILMAR POGANATZ

www.greenprices.de; www.strom.de;www.energie-vision.de